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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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nach etwas fragt, kann er sich nie erinnern, sich das Ganze nicht im Kopfe zurechtlegen und antwortet sogar einfach, er wisse es nicht; wenn man ihn aber nach etwas anderem fragt, dann knüpft er eins ans andere und erzählt einem das Gewünschte mit allen möglichen Einzelheiten, an denen einem gar nichts gelegen ist. Durch alle Nachforschungen, die die Beamten anstellten, wurde ihnen nur das eine klar: daß sie nichts Sicheres darüber wußten, was für ein Mensch Tschitschikow eigentlich sei, daß er aber doch unbedingt irgend etwas sein müsse. Sie beschlossen schließlich, sich endgültig miteinander über diesen Gegenstand auszusprechen und wenigstens zu entscheiden, was sie nun tun sollten und welche Maßregeln zu ergreifen seien, und was er eigentlich für ein Mensch sei: ob so einer, den man als Übeltäter arretieren müsse, oder so einer, der sie selbst alle als Übeltäter arretieren könne. Zu diesem Zwecke wurde eine besondere Versammlung beim Polizeimeister angesetzt, der den Lesern bereits als Vater und Wohltäter der Stadt bekannt ist.

Zehntes Kapitel
    Als die Beamten sich bei dem Polizeimeister versammelt hatten, der den Lesern bereits als Vater und Wohltäter der Stadt bekannt ist, hatten sie Gelegenheit, einer dem andern zu sagen, daß sie von diesen Sorgen und Aufregungen ganz mager geworden seien. Und in der Tat, die Ernennung des neuen Generalgouverneurs und diese eingegangenen Schreiben mit ihrem so ernsten Inhalte und diese sonderbaren Gerüchte, all dies hatte bemerkbare Spuren auf ihren Gesichtern zurückgelassen, und vielen waren die Fracks bedeutend zu weit geworden. Alle waren körperlich etwas heruntergekommen: der Präsident war abgemagert, und der Inspektor des Medizinalwesens war abgemagert, und der Staatsanwalt war abgemagert, und ein gewisser Semjon Iwanowitsch, der nie bei seinem Familiennamen genannt wurde und am Zeigefinger einen Ring trug, den er die Damen gern betrachten ließ, auch der war abgemagert. Allerdings fand sich, wie das immer der Fall ist, auch ein oder der andere forsche Kerl, der die Geistesgegenwart nicht verloren hatte; aber es waren ihrer nur sehr wenige; strenggenommen war von dieser Art nur der Postmeister. Er war der einzige, der sich in seinem stets gleichmäßigen Wesen niemals änderte, und pflegte in solchen Fällen immer zu sagen: »Wir kennen die Generalgouverneure! Von denen lösen einander vielleicht drei oder vier ab, während ich, mein Herr, schon dreißig Jahre lang auf einem und demselben Platze sitze.« Darauf erwiderten die anderen Beamten: »Du bist gut daran, Sprechen-Sie-Deutsch Iwan Andreitsch: du hast nur Postgeschäfte zu erledigen, Postsendungen teils in Empfang zu nehmen, teils zu expedieren; da kannst du kaum anders jemanden übers Ohr hauen als dadurch, daß du dein Bureau eine Stunde zu früh schließt und von einem nun zu spät kommenden Kaufmann für die Annahme eines Briefes außerhalb der ordnungsmäßigen Zeit etwas nimmst, oder dadurch, daß du eine Sendung expedierst, die du nicht hättest expedieren dürfen; da ist es natürlich kein Kunststück, ein Heiliger zu sein. Aber wenn an dich der Teufel als Versucher alle Tage heranträte wie an uns (man will manchmal gar nichts nehmen, aber er schiebt es einem selbst in die Hand): dann wollen wir einmal sehen, wie du dich hieltest! Und mit dir steht es ja auch nur halb so schlimm: du hast nur ein Söhnchen; aber meine Praskowja Fjodorowna, die hat der liebe Gott mit solcher Fruchtbarkeit gesegnet, daß sie mir jedes Jahr entweder eine kleine Praskowja oder einen kleinen Peter beschert; wenn du in solcher Lage wärest, Bruder, dann würdest du ein anderes Liedchen anstimmen!« So redeten die Beamten; ob es aber wirklich möglich ist, dem Versucher zu widerstehen, darüber zu urteilen fühlt sich der Verfasser nicht berufen. In der diesmal zusammengekommenen Versammlung war recht spürbar das Fehlen jener recht notwendigen Sache, die man in der Sprache des gewöhnlichen Lebens den gesunden Menschenverstand nennt. Überhaupt scheinen wir Russen für derartige Sitzungen nicht recht geschaffen zu sein. In allen unseren Versammlungen, von den Zusammenkünften der Dorfgemeinden an bis zu allen möglichen gelehrten und anderen Komiteesitzungen, herrscht, wenn in ihnen nicht eine Hauptperson da ist, die alles leitet, ein ganz gehöriger Wirrwarr. Es ist schwer zu sagen, woher das kommt; offenbar liegt es im Charakter unseres Volkes, daß ihm nur diejenigen gemeinsamen Veranstaltungen

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