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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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ohne jene freundliche Miene, mit der er sich früher beeilt hatte, ihm den Mantel abzunehmen. Während er ihn so ansah, schien er zu denken: »Aha! Wenn dich die Herrschaft von der Tür wegjagt, dann ist offenbar nichts an dir dran, und du gehörst zur Plebs!«
    »Unbegreiflich!« dachte Tschitschikow bei sich und begab sich sofort zum Gerichtspräsidenten; aber der Gerichtspräsident wurde bei seinem Anblick so verlegen, daß er nicht zwei Worte hintereinander herausbringen konnte und einen Unsinn redete, über den sie sich sogar alle beide schämten. Tschitschikow verließ ihn endlich und gab sich unterwegs alle Mühe, über das Gehörte zur Klarheit zu gelangen und herauszubekommen, was der Präsident eigentlich gemeint habe, und worauf sich seine Worte wohl beziehen möchten; aber er konnte nichts begreifen. Dann ging er zu andern: zum Polizeimeister, zum Vizegouverneur, zum Postmeister; aber alle empfingen ihn entweder nicht, oder sie empfingen ihn in so seltsamer Manier, führten so gezwungene, unverständliche Reden und zeigten sich so verwirrt, daß eine ganz absurde Szene herauskam und er an ihrem gesunden Verstande zweifelte. Er versuchte es noch bei diesem und jenem mit einem Besuche, um wenigstens die Ursache zu erfahren; aber er bekam keine Ursache zu hören. Wie im Halbschlaf wanderte er ziellos in der Stadt umher, außerstande die Fragen zu entscheiden, ob er den Verstand verloren habe oder die Beamten verrückt geworden seien, ob ihm das alles nur träume oder er sich in Wirklichkeit in einer so dummen Lage befinde, die verschmitzter war, als man sie sich träumen lassen konnte. Es war schon spät und dunkelte schon beinahe, als er in sein Gasthaus zurückkehrte, aus dem er in so guter Gemütsstimmung weggegangen war; mißmutig ließ er sich Tee geben. Trübsinnig und in einer Art von gedankenlosem Brüten über seine seltsame Situation begann er sich Tee einzugießen, als sich die Tür seines Zimmers öffnete und, ihm ganz unerwartet, Nosdrew hereintrat.
    »Das Sprichwort hat recht: ›Für einen Freund sind sieben Werst kein Umweg!‹« sagte dieser, indem er die Mütze abnahm. »Ich kam gerade vorbei und sah Licht im Fenster. ›Nun gut‹, dachte ich, ›dann will ich mal zu ihm herangehen! Gewiß schläft er nicht.‹ Ah! Das ist schön, daß du Tee auf dem Tische hast; ich werde mit Vergnügen ein Täßchen trinken; ich habe heute zu Mittag allerlei Zeug gegessen und fühle, daß mein Magen schon anfängt unruhig zu werden. Laß mir doch eine Pfeife stopfen! Wo hast du denn deine Pfeife?«
    »Aber ich rauche ja gar nicht Pfeife«, antwortete Tschitschikow trocken.
    »Dummes Zeug! Als ob ich nicht wüßte, daß du ein leidenschaftlicher Raucher bist! He! Wie heißt doch nur gleich dein Diener? He, Wachramjei, hör mal!«
    »Er heißt nicht Wachramjei, sondern Petruschka!«
    »Wie? Aber du hattest doch früher einen Wachramjei?«
    »Einen Wachramjei habe ich nie gehabt.«
    »Ach ja, richtig; das ist Derebin, der einen Wachramjei hat. Denk dir mal, was für ein Glück Derebin hat: seine Tante hat sich mit ihrem Sohne überworfen, weil er eine Leibeigene geheiratet hat, und jetzt hat sie ihm, dem Neffen, ihr ganzes Gut vermacht. Ich denke so bei mir: ja, so eine Tante müßte ich auch haben! Aber warum hast du dich denn von allen so zurückgezogen, Bruder, und läßt dich nirgends blicken? Ich weiß ja freilich, daß du dich manchmal mit wissenschaftlichen Gegenständen beschäftigst und gern liest« (woraus Nosdrew das schloß, daß unser Held sich mit wissenschaftlichen Gegenständen beschäftige und gern lese, das können wir, offen gestanden, nicht sagen und Tschitschikow noch weniger). »Ach, Bruder Tschitschikow, wenn du das nur mit angesehen hättest … das wäre Nahrung für deinen satirischen Geist gewesen« (warum Tschitschikow einen satirischen Geist haben sollte, ist ebenfalls unbekannt). »Denk dir nur, Bruder, wir spielten bei dem Kaufmann Lichatschew Karten – da haben wir aber gelacht! Perependew, der mit mir da war, sagte: ›Wenn doch Tschitschikow hier wäre, das wäre so recht etwas für ihn! …‹« (Dabei hatte Tschitschikow zeit seines Lebens keinen Perependew gekannt.) »Aber gestehe es nur ein, Bruder, du hast dich damals wirklich ganz gemein gegen mich benommen, erinnerst du dich wohl, als wir Dame spielten? Ich gewann ja … Ja, Bruder, du hast mich einfach beschummelt. Aber hol mich der Teufel, ich kann nicht böse werden. Neulich beim Präsidenten … Ach ja! Ich

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