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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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undurchdringlichen Nebel vor die Augen zu breiten und, Irrlichtern nachlaufend, zu Abgründen zu gelangen, um dann einander erschrocken zu fragen: »Wo ist ein Ausgang, wo ist der Weg?« Die jetzige Generation sieht das alles deutlich, ist erstaunt über die Irrtümer und lacht über den Unverstand ihrer Vorfahren, ohne zu sehen, daß diese Weltgeschichte mit himmlischer Flammenschrift geschrieben ist, daß in ihr jeder Buchstabe schreit, daß von überall her ein ausgestreckter Finger auf sie selbst, die jetzige Generation, hinweist; aber sie lacht und beginnt selbstvertrauend und stolz eine Reihe neuer Irrtümer, über die später unsere Nachkommen ebenso lachen werden.
    Tschitschikow wußte von alledem schlechthin gar nichts. Es traf sich gerade, daß er sich in dieser Zeit eine leichte Erkältung mit Gesichtsreißen und mit etwas Halsentzündung zugezogen hatte, eine Krankheit, mit welcher das Klima unserer Gouvernementsstädte sehr verschwenderisch umgeht. Damit also nur ja nicht etwa sein Leben ohne Nachkommen ein Ende nähme, entschloß er sich, lieber ungefähr drei Tage lang das Zimmer zu hüten. Während dieser Tage gurgelte er unaufhörlich mit Milch, in der eine Feige lag, die er nachher verzehrte, und hatte ein kleines Kissen mit Kamillen und Kampfer auf die Backe gebunden. Um irgendwie die Zeit auszufüllen, legte er sich neue, detaillierte Verzeichnisse von allen gekauften Bauern an, las sogar einen Band der Herzogin Lavallière, den er in seinem Koffer fand, sah in seiner Schatulle die mannigfachen darin befindlichen Gegenstände und Aufzeichnungen durch und überlas einzelnes sogar zum zweiten Male; aber all dies wurde ihm endlich sehr langweilig. Er konnte gar nicht begreifen, was es zu bedeuten hatte, daß kein einziger von den Beamten der Stadt zu ihm kam, um sich auch nur einmal nach seinem Befinden zu erkundigen, während doch noch vor kurzem ihre Wagen beständig vor seinem Gasthause gehalten hatten, bald der des Postmeisters, bald der des Staatsanwaltes, bald der des Präsidenten. Er zuckte nur, während er im Zimmer auf und ab ging, verständnislos mit den Achseln. Endlich fühlte er sich besser und freute sich wer weiß wie sehr, als er die Möglichkeit sah, wieder an die frische Luft zu gehen. Unverzüglich machte er sich an seine Toilette, goß heißes Wasser in ein Glas, nahm Bürste und Seife und traf die nötigen Vorbereitungen, um sich zu rasieren, was schon längst an der Zeit gewesen wäre, wie er denn auch, als er seinen Bart mit der Hand befühlte und in den Spiegel blickte, selbst ausrief. »Oh, das ist ja ein ordentlicher Wald geworden!« Und in der Tat, wenn auch der Ausdruck »Wald« übertrieben war, so war doch auf den Backen und am Kinn eine ziemlich dichte Saat zum Vorschein gekommen. Nachdem er sich rasiert hatte, machte er sich munter und flink daran, sich anzukleiden, und sprang nur so aus seinen Hosen heraus. Endlich war er angekleidet, besprengte sich mit Eau de Cologne, hüllte sich recht warm ein, band sich vorsichtshalber noch ein Tuch um die Backe und ging auf die Straße hinaus. Sein erster Ausgang hatte, wie bei jedem Genesenen, einen wahrhaft festlichen Charakter. Alles, was ihm vor die Augen kam, nahm eine lachende Miene an, die Häuser und die vorübergehenden Bauern, die übrigens ganz ernst aussahen und von denen schon mancher an diesem Tage einem seinesgleichen eine Maulschelle versetzt haben mochte. Die erste Visite wollte er beim Gouverneur machen. Unterwegs kamen ihm viele und mannigfache Gedanken in den Sinn: in seinem Kopfe spukte die Blondine umher; seine Phantasie begann sogar etwas tolle Sprünge zu machen, und er fing schon selbst an, sich über sich zu amüsieren und zu lachen. In solcher Stimmung kam er vor dem Portale des Gouverneurs an. Er wollte auf dem Flur schon eilig seinen Mantel abwerfen, als ihn der Portier durch die ganz unerwarteten Worte überraschte: »Ich habe Befehl, Sie nicht einzulassen.«
    »Wie! Was redest du! Du hast mich offenbar nicht erkannt? Sieh mir doch ordentlich ins Gesicht!« sagte Tschitschikow zu ihm.
    »Wie sollte ich Sie nicht erkennen! Ich sehe Sie ja nicht zum ersten Male«, erwiderte der Portier. »Aber gerade Sie allein einzulassen ist mir verboten; alle andern darf ich einlassen.«
    »Na so etwas! Warum denn? Wieso denn?«
    »So ist mir befohlen; es wird gewiß einen Grund haben«, antwortete der Portier und fügte dann noch das Wort »ja« hinzu, worauf er sich vor ihm in ganz ungenierter Haltung hinstellte,

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