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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Aufmerksamkeit. Er vereinigte in sich alle diejenigen Eigenschaften, die in dieser Welt zum Fortkommen erforderlich sind: ein angenehmes Benehmen im Verkehr und eine hübsche Gewandtheit in geschäftlichen Dingen. Mit diesen Mitteln erreichte er in kurzer Zeit das, was man einen »guten Posten« nennt, und nutzte denselben in ausgezeichneter Weise aus. Man muß wissen, daß man gerade um diese Zeit höheren Ortes anfing, gegen das Bestechungswesen aufs schärfste vorzugehen. Dieses Vorgehen schreckte ihn nicht, und er benutzte dasselbe sofort zu seinem Vorteil, indem er dabei die echt russische Erfindungsgabe bewies, die nur zu Zeiten äußeren Druckes zum Vorschein kommt. Er arrangierte die Sache nämlich folgendermaßen: sobald jemand mit einem Gesuche kam und die Hand in die Tasche steckte, um die bekannten »Empfehlungsbriefe mit der Unterschrift des Fürsten Chowanski«, wie man sich bei uns in Rußland ausdrückt, herauszuziehen, sagte er lächelnd, indem er ihm die Hand festhielt: »Nein, nein, Sie denken wohl, daß ich … nein, nein! Das ist unsere Pflicht und Schuldigkeit! Seien Sie in dieser Hinsicht ganz beruhigt: gleich morgen wird alles erledigt sein. Gestatten Sie mir die Frage, wo Sie wohnen; Sie brauchen sich gar nicht selbst zu bemühen: es wird Ihnen alles ins Haus gebracht werden.« Der entzückte Petent kehrte höchst vergnügt nach Hause zurück und dachte: »Na, endlich einmal ein Mann, wie wir ihrer recht viele haben müßten! Das ist ja ein wahrer Edelstein!« Aber der Petent wartet einen Tag, einen zweiten Tag – es wird ihm kein Schriftstück ins Haus gebracht; ebensowenig am dritten Tage. Er geht in die Kanzlei: seine Sache ist noch gar nicht in Angriff genommen; er geht zu dem wahren Edelsteine. »Ach, entschuldigen Sie nur!« sagte Tschitschikow sehr höflich, indem er ihn an beiden Händen ergriff, »es war bei uns so sehr viel zu tun; aber morgen wird alles erledigt sein, morgen ganz bestimmt! Wirklich, es ist mir selbst peinlich!« Und das alles brachte er mit den bezauberndsten Manieren vor. Wenn währenddessen der Petent seinen Rockschoß ein wenig zurückschlug, so bemühte sich die Hand des Beamten sofort, dies zu korrigieren und den Rockschoß festzuhalten. Aber weder am nächsten, noch am zweiten, noch am dritten Tage bringt man ihm seine Papiere ins Haus. Der Petent wird stutzig: »Nun? Ist da vielleicht etwas nicht in Ordnung?« Er erkundigt sich bei anderen, und es wird ihm gesagt: »Sie müssen den Schreibern etwas geben.« – »Warum soll ich das nicht tun? Ich will ihnen gern einen Viertelrubel oder auch einen halben Rubel geben.« – »Nein, nicht einen Viertelrubel, sondern fünfundzwanzig Rubel müssen Sie geben.« – »Was? Den Schreibern fünfundzwanzig Rubel?« ruft der Petent erstaunt. – »Aber warum regen Sie sich so auf?« wird ihm geantwortet. »Das Rechenexempel ist dieses: die Schreiber erhalten wirklich jeder nur einen Viertelrubel; das übrige Geld geht an ihre Vorgesetzten weiter.« Der ahnungslose Petent schlägt sich mit der Hand vor die Stirn und schimpft mörderlich auf die neue Ordnung der Dinge, auf das Vorgehen gegen das Bestechungswesen und auf die höflichen, verfeinerten Umgangsformen der Beamten. »Früher wußte man wenigstens, was man zu tun hatte: man brachte dem Kanzleidirektor einen Zehnrubelschein, dann hatte man seine Sache sicher; aber jetzt muß man fünfundzwanzig Rubel geben und verliert noch eine ganze Woche, bis man dahinterkommt … Hol der Teufel die Uneigennützigkeit und vornehme Gesinnung der Beamten!« Allerdings hat der Petent recht; aber dafür gibt es jetzt keine bestechlichen Beamten: alle höheren Beamten sind durchaus ehrenhafte, vornehm denkende Menschen; nur die Sekretäre und Schreiber sind Gauner.
    Nach kurzer Zeit eröffnete sich unserem Tschitschikow ein weit ausgedehnteres Feld für seine Tätigkeit: es wurde eine Kommission zur Errichtung eines sehr kostspieligen fiskalischen Gebäudes gebildet. Auch er wurde in diese Kommission ernannt und erwies sich als eines der tätigsten Mitglieder derselben. Die Kommission machte sich sofort an die Arbeit. Sechs Jahre lang war sie mit diesem Gebäude eifrig beschäftigt; aber ob nun das Klima hinderlich war oder das Baumaterial nichts taugte, genug, das fiskalische Gebäude wollte absolut nicht über das Fundament hinauskommen. Aber unterdessen baute sich jedes Mitglied der Kommission an einem anderen Ende der Stadt ein hübsches Haus in bürgerlichem Baustil;

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