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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Pawel Tschitschikow entschuldigte sich mit Unvermögen und gab nur ein Fünfkopekenstück, das seine Kameraden ihm sogleich mit den Worten: »Ach, du Geizhals!« wieder hinwarfen. Der alte Lehrer schlug die Hände vor das Gesicht, als er von dieser Handlung seiner früheren Schüler hörte; die Tränen liefen ihm wie einem hilflosen Kinde stromweise aus den erlöschenden Augen. »Gott hat es gefügt, daß ich auf meinem Sterbebette noch solche Tränen vergießen soll«, sagte er mit schwacher Stimme, und als er von Tschitschikows Verhalten erfuhr, seufzte er schwer und fügte hinzu: »Ach, der liebe Pawel! Wie sich doch ein Mensch verändern kann! Und er war doch ein so wohlgesitteter Knabe; so gar nichts Wildes hatte er; er war wie um den Finger zu wickeln! Er hat mich betrogen, schrecklich betrogen!«
    Man kann indessen nicht sagen, daß der Charakter unseres Helden so hart und rauh und sein Gefühl so abgestumpft gewesen wäre, daß er Mitleid und Teilnahme nicht gekannt hätte. Diese Empfindungen waren ihm nicht fremd; er hätte sogar ganz gern jemandem geholfen; nur durfte das nicht eine bedeutendere Summe kosten und ihn zwingen, das Geld anzugreifen, das er zu einem unangreifbaren Fonds bestimmt hatte; kurz, er beherzigte die väterliche Ermahnung: »Spare die Kopeke und hebe sie dir auf!« Aber diese seine Anhänglichkeit an das Geld beruhte nicht auf Liebe zum Gelde selbst; Geiz und Knickerei waren nicht die Bestrebungen, die ihn beherrschten. Nein, das waren nicht die Beweggründe seines Benehmens; was ihm vorschwebte, war ein Leben in aller Behaglichkeit, mit allen Annehmlichkeiten: Equipagen, ein schön eingerichtetes Haus, opulente Mahlzeiten, das war es, was ihm immer im Kopfe herumging. Um zuletzt, später einmal, mit der Zeit all dies sicher zu genießen, dazu sparte er die Kopeke, die er vorläufig sich selbst und anderen streng vorenthielt. Wenn ein reicher Mann in einem schnellen, hübschen Wagen, bespannt mit Trabern in prächtigem Geschirr, an ihm vorbeifuhr, dann blieb er wie angenagelt an demselben Flecke stehen, und wenn er dann wie aus einem langen Schlafe zur Besinnung kam, so sagte er: »Und doch war er nur ein Kontorist und trug das Haar rund geschnitten!« Alles, was auf Reichtum und Komfort hindeutete, machte auf ihn einen starken, ihm selbst unbegreiflichen Eindruck. Als er von der Schule abgegangen war, gönnte er sich nicht einmal eine Erholung, so lebhaft war sein Verlangen, sich ans Werk zu machen und in den Dienst zu treten. Indes fand er trotz seines vorzüglichen Zeugnisses doch nur mit großer Mühe eine Anstellung bei einer Finanzbehörde, denn selbst in den abgelegensten Krähwinkeln ist Protektion erforderlich! Er bekam eine ganz geringe Stelle mit einem Gehalte von dreißig oder vierzig Rubeln jährlich. Aber er nahm sich vor, sich mit einem Feuereifer dem Dienste zu widmen und alle Hindernisse zu überwinden und zu bewältigen. Und wirklich, seine Selbstaufopferung, seine Geduld und die Art, wie er seine Bedürfnisse einschränkte, waren geradezu unerhört. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend schrieb er, ohne irgendwelche Ermattung seiner körperlichen und geistigen Kräfte, ganz in seine Kanzleiakten vergraben; er ging nicht nach Hause, schlief in den Bureauräumen auf einem Tische, aß manchmal mit den Hausdienern zu Mittag und verstand es trotz alledem, sich sauber zu halten, sich ordentlich zu kleiden, seinem Gesichte einen angenehmen Ausdruck und sogar seinen Bewegungen eine Art von Vornehmheit zu verleihen. Es muß gesagt werden, daß die Beamten dieser Behörde sich durch ein unansehnliches, häßliches Äußeres besonders auszeichneten. Manche hatten Gesichter wie schlecht gebackenes Brot: auf der einen Seite war die Backe geschwollen, und das Kinn stand nach der anderen Seite hin schief; die Oberlippe war blasenartig aufgedunsen und überdies noch gesprungen; kurz, sie sahen ganz und gar nicht schön aus. Sprechen taten sie in einem unfreundlichen Tone, gerade als ob sie jemanden durchprügeln wollten; sie brachten dem Bacchus häufige Opfer dar und bewiesen dadurch, daß in dem Wesen der Slawen noch viele Reste des Heidentums stecken; sie kamen sogar manchmal stark angefeuchtet, wie man sich ausdrückt, in die Bureaus, infolge wovon es dort recht unbehaglich war und nicht gerade aromatisch duftete. Unter solchen Beamten mußte Tschitschikow vorteilhaft auffallen, da er in allen Stücken den vollständigen Gegensatz darstellte, sowohl durch sein hübsches,

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