Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
Vom Netzwerk:
nähte er es in ein Säckchen und begann für ein zweites zu sparen. Seinen Vorgesetzten gegenüber benahm er sich noch klüger. Niemand verstand es, so still auf der Bank zu sitzen. Es muß hier angemerkt werden, daß der Lehrer ein großer Freund eines stillen, artigen Betragens war und die klugen, gescheiten Schüler nicht leiden konnte; es schien ihm, daß sie sich fortwährend über ihn lustig machten. War ein Knabe in den Verdacht geraten, gescheit zu sein, so brauchte er sich nur zu bewegen oder unabsichtlich mit den Augenbrauen zu zucken, um den Lehrer furchtbar zornig zu machen. Dieser quälte und strafte ihn unbarmherzig. »Ich werde dir den Hochmut und die Widersetzlichkeit austreiben, lieber Freund!« sagte er, »ich kenne dich durch und durch, besser als du selbst dich kennst. Warte, ich werde dich knien lassen, und hungern sollst du auch!« Und ohne zu wissen wofür, mußte sich der arme Knabe die Knie durchscheuern und oft einen ganzen Tag lang hungern. »Fähigkeiten und Begabung, das ist alles dummes Zeug!« pflegte er zu sagen. »Ich sehe nur auf das Betragen. Ich werde demjenigen in allen Wissenschaften eine gute Zensur geben, der zwar nicht die geringsten Kenntnisse besitzt, aber sich lobenswert beträgt; bei wem ich aber eine schlechte Gesinnung und Spottlust wahrnehme, dem gebe ich Ungenügend, und wenn er den weisen Solon in die Tasche steckte!« So sprach der Lehrer und konnte den Fabeldichter Krylow in den Tod nicht leiden, weil dieser gesagt hat: »Wenn dein Geschäft nur gründlich du verstehst, so duld’ ich’s gern, daß du zur Schenke gehst.« Auch erzählte er mit großem Genusse, den man ihm am Gesicht und an den Augen ansehen konnte, in der Schule, an der er früher tätig gewesen sei, habe eine solche Stille geherrscht, daß man eine Mücke habe fliegen hören; kein Schüler habe während des ganzen Jahres in der Klasse gehustet oder sich die Nase geschnaubt, und bis zum Läuten habe man nicht von draußen erkennen können, ob jemand in der Klasse sei oder nicht. Tschitschikow verstand sogleich den Charakter des Lehrers und merkte, worin nach dessen Ansicht das gute Betragen bestand. Während der ganzen Dauer des Unterrichts bewegte er weder ein Auge noch eine Augenbraue, und wenn ihn seine Hintermänner auch noch so sehr kniffen; sobald das Läuten ertönte, stürzte er Hals über Kopf hin und reichte dem Lehrer, allen zuvorkommend, seine Klappmütze (dieser Bauerntracht bediente sich der Lehrer); nachdem er dies getan hatte, ging er als erster aus der Klasse hinaus, bemühte sich, ihm etwa dreimal auf dem Wege zu begegnen, und nahm dabei unaufhörlich die Mütze ab. Dieses Betragen hatte einen vollen Erfolg. Während seiner ganzen Schulzeit war er vorzüglich angeschrieben, und bei seiner Entlassung erhielt er ein schönes Abgangszeugnis mit einem glatten Befriedigend in allen Unterrichtsgegenständen und ein Buch mit der Aufschrift in goldenen Buchstaben: »Für musterhaften Fleiß und lobenswertes Betragen.« Bei seinem Ausscheiden aus der Schule war er bereits ein Jüngling von recht angenehmem Äußern, mit einem Kinn, das nach dem Rasiermesser verlangte. Zu dieser Zeit starb sein Vater. Die Hinterlassenschaft bestand aus vier unheilbar abgenutzten Unterjacken, zwei alten mit Lammfell gefütterten Röcken und einer unbedeutenden Summe Geldes. Der Vater hatte sich offenbar nur darauf verstanden, zum Sparen von Kopeken zu raten, selbst aber ihrer nicht viele gespart. Tschitschikow verkaufte sogleich das baufällige Häuschen mit dem wenigen dazugehörigen Lande für tausend Rubel; die leibeigene Familie aber überführte er nach der Stadt, da er dort seinen Wohnsitz zu nehmen und in den Staatsdienst zu treten beabsichtigte. Gerade um diese Zeit wurde der arme Lehrer, der ein so großer Freund eines stillen, artigen Betragens war, wegen seiner Dummheit oder eines anderen Verschuldens von der Schule zwangsweise entlassen. Vor Kummer legte er sich auf das Trinken; schließlich hatte er aber auch dazu kein Geld mehr; krank, ohne einen Bissen Brot und ohne einen Menschen, der ihm geholfen hätte, ging er in einem ungeheizten, einsamen Kämmerchen zugrunde. Seine früheren Schüler, die klugen, gescheiten Schüler, bei denen er immer Widersetzlichkeit und hochmütiges Benehmen gewittert hatte, veranstalteten, als sie von seiner kläglichen Lage hörten, sofort für ihn eine Geldsammlung, und mancher von ihnen verkaufte zu diesem Zwecke sogar Sachen, die er selbst nötig hatte; nur

Weitere Kostenlose Bücher