Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
zwischen dem Hausherrn und der Hausfrau; der Diener band den Kindern die Servietten um den Hals.
»Was für liebe Kinder!« sagte Tschitschikow, indem er sie anblickte. »Wie alt sind sie denn?«
»Der ältere ist sieben und der jüngere ist gestern gerade sechs geworden!« sagte Frau Manilowa.
»Themistoklus!« sagte Manilow, sich zu dem älteren wendend, der sich bemühte, sein Kinn frei zu machen, das der Diener mit in die Serviette hineingebunden hatte. Tschitschikow zog die Augenbrauen ein wenig in die Höhe, als er diesen in der Hauptsache griechischen Namen hörte, welchem Manilow aus einem unerfindlichen Grunde die Endung us gegeben hatte; aber er bemühte sich sofort, seinem Gesichte wieder den gewöhnlichen Ausdruck zu verleihen.
»Themistoklus, sage mir: welches ist die beste Stadt in Frankreich?«
Hier richtete der Lehrer seine ganze Aufmerksamkeit auf Themistoklus, und es machte den Eindruck, als ob er ihm in die Augen springen wolle; aber schließlich beruhigte er sich vollständig und nickte mit dem Kopfe, als Themistoklus sagte: »Paris.«
»Und welches ist bei uns die beste Stadt?« fragte Manilow wieder.
Der Lehrer blickte den Knaben wieder mit gespannter Aufmerksamkeit an.
»Petersburg«, antwortete Themistoklus.
»Und welche noch?«
»Moskau«, antwortete Themistoklus.
»Ein kluger Knabe, ein prächtiges Kind!« sagte darauf Tschitschikow. »Nun sagen Sie nur«, fuhr er fort, indem er sich mit dem Ausdrucke staunender Verwunderung zu Manilow wendete, »in so jungen Jahren schon solche Kenntnisse! Ich muß Ihnen sagen, daß in diesem Kinde große Fähigkeiten stecken!«
»Oh, Sie kennen ihn noch nicht!« antwortete Manilow. »Er besitzt einen außerordentlichen Scharfsinn. Der jüngere da, Alkid, der ist nicht so rasch; aber dieser hier, wenn dem etwas vorkommt, ein Käfer, ein Schmetterling, ist er gleich mit den Augen dahinter her, läuft ihm nach und richtet seine Aufmerksamkeit darauf. Ich habe ihn für das diplomatische Fach bestimmt. Themistoklus!« fuhr er fort, sich von neuem zu ihm wendend, »willst du Gesandter werden?«
»Ja«, antwortete Themistoklus, an einem Bissen Brot kauend und mit dem Kopfe nach rechts und links umherschlagend.
In diesem Augenblicke wischte der dahinterstehende Diener dem Gesandten die Nase, und daran tat er sehr gut, sonst wäre ein ganz gehöriger fremder Tropfen in die Suppe gefallen. Das Gespräch bei Tische handelte zunächst von der Annehmlichkeit eines ruhigen Lebens, wobei die Hausfrau Bemerkungen über das städtische Theater und die Schauspieler einstreute. Der Lehrer blickte die Redenden sehr aufmerksam an, und sobald er bemerkte, daß sie sich anschickten zu lächeln, machte er in demselben Augenblicke den Mund auf und lachte herzlich. Wahrscheinlich war er ein dankbarer Mensch und wollte sich dadurch dem Hausherrn für die gute Behandlung, die ihm zuteil wurde, erkenntlich zeigen. Einmal jedoch nahm sein Gesicht einen finsteren Ausdruck an; er klopfte streng auf den Tisch und richtete die Augen scharf auf die ihm gegenübersitzenden Kinder. Dies war auch ganz am Platze, denn Themistoklus hatte Alkid ins Ohr gebissen; Alkid kniff die Augen zusammen, öffnete den Mund und wollte eben schon in kläglichster Art losheulen; aber da er sich noch rechtzeitig überlegte, daß er dadurch leicht eines Gerichtes verlustig gehen könne, so brachte er seinen Mund wieder in die frühere Haltung und begann mit Tränen in den Augen an einem Hammelknochen zu nagen, infolge wovon ihm beide Backen von Fett glänzten.
Die Hausfrau wandte sich sehr oft an Tschitschikow mit den Worten: »Sie essen ja nichts, Sie haben so sehr wenig genommen.« Worauf Tschitschikow jedesmal antwortete: »Ich danke gehorsamst, ich bin satt. Eine angenehme Unterhaltung ist besser als jede Speise.«
Nunmehr standen sie vom Tische auf. Manilow war außerordentlich zufrieden; er legte seinem Gaste die Hand auf den Rücken und wollte ihn auf diese Weise in den Salon befördern, als auf einmal der Gast mit sehr bedeutsamer Miene erklärte, er beabsichtige mit ihm über eine sehr wichtige Angelegenheit zu reden.
»Dann erlauben Sie mir, Sie in mein Arbeitszimmer zu bitten«, sagte Manilow und führte ihn in ein kleines Zimmer, dessen Fenster nach einem bläulich schimmernden Walde hinausgingen. »Das ist hier mein privates Eckchen«, bemerkte er.
»Ein hübsches Zimmerchen!« sagte Tschitschikow, indem er seine Augen darin umherschweifen ließ. Das Zimmer war wirklich nicht übel:
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