Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
belaufen?« fragte Tschitschikow.
»Ja, wie hoch ungefähr?« wiederholte Manilow.
»Ja, wie soll ich da eine Zahl angeben? Es ist ja nicht bekannt, wie viele gestorben sind: es hat sie niemand gezählt.«
»Ja freilich«, sagte Manilow, sich zu Tschitschikow wendend, »ich habe mir auch gedacht, daß die Sterblichkeit groß gewesen ist; es ist gar nicht bekannt, wie viele gestorben sind.«
»Bitte, zähle sie doch zusammen«, sagte Tschitschikow zu dem Verwalter, »und stelle ein genaues Namensverzeichnis von allen auf!«
»Ja, ein Namensverzeichnis von allen«, fügte Manilow hinzu.
Der Verwalter erwiderte: »Zu Befehl!« und ging hinaus.
»Aber wozu wollen Sie denn das wissen?« fragte Manilow, sobald der Verwalter gegangen war.
Diese Frage schien den Gast in Verlegenheit zu setzen; auf seinem Gesichte prägte sich eine gewisse Anstrengung aus, von der er sogar rot wurde, die Anstrengung, etwas auszudrücken, wofür er nicht sogleich die passenden Worte finden konnte. Und in der Tat bekam Manilow schließlich ganz seltsame und ungewöhnliche Dinge zu hören, wie Menschenohren sie noch niemals gehört hatten.
»Sie fragen, wozu ich das wissen möchte? Der Grund ist der: ich möchte Bauern kaufen …«, erwiderte Tschitschikow, stockte aber und sprach den Satz nicht zu Ende.
»Aber gestatten Sir mir die Frage«, sagte Manilow. »Wie wollen Sie Bauern kaufen: mit Land, oder einfach zur Übersiedelung, also ohne Land?«
»Nein, ich möchte eigentlich nicht richtige Bauern kaufen«, erwiderte Tschitschikow, »ich möchte tote Bauern haben …«
»Wie? Verzeihen Sie … ich bin da auf dem Ohr etwas schwerhörig; ich glaubte, ein sehr sonderbares Wort zu hören …«
»Ich beabsichtige, tote Bauern zu erwerben, die aber in der Revisionsliste noch als lebend aufgeführt sind«, versetzte Tschitschikow.
Hier riß Manilow verwundert den Mund auf, so daß die Pfeife auf den Boden fiel, und verharrte so mit offenem Munde mehrere Minuten lang. Keiner der beiden Freunde rührte sich; sie dachten wohl über die Annehmlichkeiten des freundschaftlichen Lebens nach und starrten einander an wie jene Porträts, die man in älterer Zeit einander gegenüber zu beiden Seiten des Spiegels aufzuhängen pflegte. Endlich hob Manilow die Pfeife auf, blickte dem anderen von unten her ins Gesicht und versuchte zu erkennen, ob nicht ein Lächeln um seine Lippen spiele und er nur einen Scherz gemacht habe; aber es war nichts Derartiges sichtbar, im Gegenteil erschien sein Gesicht sogar ungewöhnlich ernst. Dann kam ihm der Gedanke, ob der Gast auch nicht etwa unversehens den Verstand verloren habe, und er sah ihn voller Angst unverwandt an; aber die Augen des Gastes waren ganz klar; es war in ihnen nichts von jenem wilden, unruhigen Feuer zu bemerken, das in den Augen eines Irrsinnigen zu flackern pflegt; alles an ihm war, wie es sich gehört und in guter Ordnung. Mochte Manilow auch noch soviel darüber nachdenken, wie er sich nun verhalten und was er tun solle, er konnte nichts anderes ersinnen als nur aus dem Munde den darin befindlichen Rauch in einem ganz dünnen Strahle ausströmen zu lassen.
»Ich möchte also gern wissen, ob Sie geneigt sind, mir solche nicht in Wirklichkeit, wohl aber in bezug auf die gesetzliche Form lebendigen Bauern zu überlassen, abzutreten, oder wie es Ihnen sonst am besten scheint.«
Aber Manilow war so betäubt und verwirrt, daß er ihn nur anblickte.
»Es scheint, daß Sie das befremdet?« fragte Tschitschikow.
»Nein … nein, das nicht«, erwiderte Manilow, »ich kann nur nicht begreifen … verzeihen Sie … ich habe allerdings keine so glänzende Bildung genossen, wie sie bei Ihnen sozusagen in jedem Worte sichtbar ist; ich verstehe mich nicht auf die hohe Kunst des geschickten Ausdrucks … Vielleicht daß hier … in diesem Wunsche, den Sie soeben aussprachen … etwas anderes verborgen liegt … Vielleicht haben Sie nur um des schönen Stils willen sich so auszudrücken beliebt?«
»Nicht doch«, erwiderte Tschitschikow, »nicht doch; ich meine genau das Kaufobjekt, das ich bezeichnet habe, also solche Seelen, die wirklich bereits gestorben sind.«
Manilow hatte vollständig die Fassung verloren; er fühlte, daß er etwas tun, eine Frage stellen mußte, aber was für eine Frage, das mochte der Teufel wissen. Es endete schließlich damit, daß er wieder den Rauch ausströmen ließ, diesmal aber nicht aus dem Munde, sondern durch die Nasenlöcher.
»Also, wenn dem nichts entgegensteht,
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