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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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die Wände waren bläulich, mit einer Art von Fliederfarbe, gestrichen. Im Zimmer befanden sich vier Stühle, ein Lehnsessel, ein Tisch, auf dem ein Buch mit einem darinliegenden Lesezeichen lag, das wir bereits zu erwähnen Anlaß hatten; ferner lagen auf dem Tische einige vollgeschriebene Blätter Papier. Besonders aber war viel Tabak da, und zwar in mannigfacher Form: in Päckchen und in einem Tabakskasten und schließlich einfach als ein auf den Tisch geschütteter Haufen. Auf beiden Fensterbrettern lagen ebenfalls Häufchen von Asche, die aus der Pfeife ausgeklopft war; diese Häufchen waren nicht ohne Sorgfalt in sehr hübsche Reihen geordnet. Es war zu merken, daß dies manchmal für den Hausherrn einen vergnüglichen Zeitvertreib bildete.
    »Gestatten Sie, daß ich Sie bitte, auf diesem Lehnsessel Platz zu nehmen«, sagte Manilow. »Da werden Sie bequem sitzen.«
    »Gestatten Sie, ich werde mich auf einen Stuhl setzen.«
    »Gestatten Sie, daß ich Ihnen dies nicht gestatte«, sagte Manilow lächelnd. »Dieser Lehnsessel ist nun einmal für den Gast bestimmt; wohl oder übel müssen Sie sich daraufsetzen.«
    Tschitschikow setzte sich.
    »Gestatten Sie mir, Ihnen ein Pfeifchen anzubieten.«
    »Ich danke, ich rauche nicht«, antwortete Tschitschikow freundlich und gewissermaßen bedauernd.
    »Warum denn nicht?« fragte Manilow ebenfalls freundlich und im Tone des Bedauerns.
    »Ich habe es mir nicht angewöhnt; ich bin gesundheitlich besorgt; man sagt, das Pfeiferauchen mache die Lunge trocken.«
    »Gestatten Sie mir die Bemerkung, daß das ein Vorurteil ist. Ich glaube sogar, daß das Pfeiferauchen weit gesünder ist als das Tabakschnupfen. In unserem Regimente war ein Leutnant, ein sehr schöner, gebildeter Mensch; der ließ die Pfeife auch bei Tische nicht aus dem Munde, ja, mit Verlaub zu sagen, nicht einmal an allen übrigen Orten. Und jetzt ist er schon über vierzig Jahre alt, aber Gott sei Dank bis jetzt so gesund, wie man es sich nur denken kann.«
    Tschitschikow bemerkte, dergleichen komme in der Tat vor, und es gebe in der Natur viele Dinge, die sogar für den klügsten Verstand unerklärlich seien.
    »Aber gestatten Sie mir nun eine Bitte«, fuhr er mit einer Stimme fort, die einen seltsamen oder wenigstens beinah seltsamen Klang hatte, und blickte unmittelbar darauf aus nicht recht verständlichem Grunde hinter sich. Manilow blickte ebenfalls aus nicht recht verständlichem Grunde hinter sich.
    »Wie lange ist es her, daß Sie zum letztenmal die Revisionsliste eingereicht haben?«
    »Das ist schon recht lange her; aber, um die Wahrheit zu sagen, ich erinnere mich nicht, wann es war.«
    »Sind seit jener Zeit viele Bauern bei Ihnen gestorben?«
    »Das weiß ich nicht; danach müßten wir, meine ich, den Verwalter fragen. He, Diener! Ruf doch mal den Verwalter; er muß heute hier sein.«
    Der Verwalter erschien. Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren, glatt rasiert, trug einen Oberrock und führte anscheinend ein sehr ruhiges Leben, da sein Gesicht eine rundliche Fülle zeigte, und seine gelbliche Hautfarbe und seine kleinen Augen bewiesen, daß er recht gut wußte, was Feder- und Daunenbetten sind. Man konnte gleich von vornherein sehen, daß er dieselbe Laufbahn zurückgelegt hatte wie alle herrschaftlichen Verwalter; er war ursprünglich im Hause ein einfacher Schreiberlehrling gewesen, hatte dann irgendeine Agaschka geheiratet, eine Wirtschafterin, die die Gunst der gnädigen Frau genoß, war selbst Wirtschafter geworden und dann zum Verwalter aufgerückt. Nachdem er aber Verwalter geworden war, hatte er sich selbstverständlich benommen wie alle Verwalter: mit den reichsten Leuten im Dorfe hatte er verkehrt und war ihr Gevatter geworden; den Armen aber hatte er immer mehr aufgepackt. Wenn er zwischen acht und neun Uhr morgens aufwachte, wartete er, bis der Samowar fertig war, und trank seinen Tee.
    »Hör mal, mein Lieber! Wie viele Bauern mögen bei uns gestorben sein, seit wir zum letztenmal die Revisionsliste eingereicht haben?«
    »Ja, wie meinen Sie das: wie viele? Es sind viele seitdem gestorben«, erwiderte der Verwalter; da er den Schlucken bekommen hatte, so hielt er sich so obenhin die Hand wie einen Schild vor den Mund.
    »Ja, ich muß gestehen, das hatte ich selbst gedacht«, fiel Manilow ein. »Es sind wirklich sehr viele gestorben!« Er wendete sich dabei an Tschitschikow und fügte noch hinzu: »Wirklich, sehr viele.«
    »Aber wie hoch mag sich die Zahl derselben ungefähr

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