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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Halbstiefel von Lackleder und ein Paar Morgenschuhe. Das Schuhzeug war ebenfalls schamhaft mit einem seidenen Taschentuche verhängt, so daß man sein Vorhandensein gar nicht ahnen konnte. Auf dem Schreibtische wurden sofort folgende Dinge in größter Ordnung arrangiert: die Schatulle, eine Flasche mit Eau de Cologne, ein Kalender und zwei Romane, von jedem aber nur der zweite Band. Die reine Wäsche war in einer Kommode untergebracht, die sich schon von früher her im Schlafzimmer befunden hatte; diejenige Wäsche aber, die zur Wäscherin kommen mußte, war in ein Bündel zusammengebunden und unter das Bett geschoben. Ebendorthin war der Koffer nach seiner Entleerung geschoben worden. Der Säbel, der auf Reisen immer mitgenommen wurde, um Dieben Furcht einzuflößen, hatte ebenfalls im Schlafzimmer seinen Platz gefunden; er hing nicht weit vom Bett an einem Nagel. Alles hatte das Aussehen größter Sauberkeit und Ordnung angenommen. Nirgends ein Stückchen Papier, ein Federchen, ein Stäubchen. Sogar die Luft war gewissermaßen veredelt: sie war von dem angenehmen Geruche eines gesunden, frischen Mannes erfüllt, der seine Wäsche nicht übermäßig lange trägt, regelmäßig ins Schwitzbad geht und sich sonntags mit einem nassen Schwamm abreibt. In dem vorderen Saale versuchte sich eine Weile der Geruch des Dieners Petruschka festzusetzen; aber Petruschka wurde bald, wie das in der Ordnung war, in die Küche umquartiert.
    In den ersten Tagen fürchtete Andrei Iwanowitsch, seine Unabhängigkeit könne durch den Besuch leiden, der Gast könne ihn in seiner Bewegungsfreiheit beschränken, ihn zu unbequemen Änderungen seiner Lebensweise zwingen und die Tageseinteilung stören, die er für sich mit so schönem Erfolge eingeführt hatte; aber seine Besorgnisse waren unbegründet. Unser Pawel Iwanowitsch bewies eine außerordentliche Fähigkeit, sich allem schmiegsam anzupassen. Er äußerte sich beifällig über die philosophische Langsamkeit seines Wirtes und sagte, sie verheiße ein Leben von hundert Jahren. Über dessen Einsiedlertum fand er einen sehr glücklichen Ausdruck, nämlich: es nähre im Menschen große Gedanken. Nachdem er einen Blick auf die Bibliothek geworfen hatte, sprach er sich lobend über die Bücher im allgemeinen aus und bemerkte, sie bewahrten den Menschen vor dem Müßiggange. Es kamen nur wenige Worte aus seinem Munde, aber alle waren sie gewichtig und bedeutsam. Und ebensoviel Takt wie in seinen Reden bewies er in seinen Handlungen. Er erschien zur rechten Zeit und entfernte sich wieder zur rechten Zeit; er belästigte seinen Wirt nicht mit Fragen zu Zeiten, wo dieser zur Unterhaltung nicht aufgelegt war, spielte mit ihm mit Vergnügen Schach und schwieg auch mit Vergnügen. Während der eine gekräuselte Wolken von Tabaksdampf in die Luft blies, ersann sich der andere, der nicht rauchte, eine Beschäftigung, die jener entsprach: er zog zum Beispiel seine silberne, schwarz emaillierte Schnupftabaksdose aus der Tasche, hielt sie zwischen zwei Fingern der linken Hand fest und versetzte sie durch einen Finger der rechten Hand in schnelle Drehung, ähnlich wie sich die Erdkugel um ihre Achse dreht, oder er trommelte auch mit dem Finger auf ihr herum und pfiff leise dazu. Kurz, er inkommodierte seinen Wirt nicht. »Ich sehe da zum erstenmal einen Menschen, mit dem man leben kann«, sagte Tentetnikow zu sich selbst, »diese Kunst ist überhaupt in unserem Lande nur selten zu finden. Es gibt bei uns eine ziemliche Menge kluger, gebildeter, guter Menschen; aber Leute von beständig gleichmäßigem Charakter, Leute, mit denen man sein Leben lang zusammen leben könnte, ohne sich mit ihnen zu zanken – ich weiß nicht, ob bei uns viele solche Leute zu finden sind. Das ist der erste derartige Mensch, den ich zu sehen bekomme.« So urteilte Tentetnikow über seinen Gast.
    Tschitschikow seinerseits war sehr froh, daß es ihm vergönnt war, einige Zeit bei einem so stillen, friedfertigen Wirte zu wohnen. Des Zigeunerlebens war er überdrüssig geworden. Sich ein bißchen zu erholen, wenn auch nur einen Monat lang, auf einem schönen Gute, angesichts der Felder und des anbrechenden Frühlings, war sogar hinsichtlich der Hämorrhoiden nützlich.
    Es wäre schwer gewesen, ein schöneres Winkelchen zur Erholung ausfindig zu machen. Der Frühling, der lange durch die Kälte zurückgehalten war, begann auf einmal in seiner ganzen Schönheit, und überall regte sich das Leben. Schon zeigte sich die blaue

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