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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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sich bereits beruhigt hatte, vermutete im stillen, das sei wohl ein wißbegieriger, gelehrter Professor, der in Rußland umherreise, um vielleicht irgendwelche Pflanzen oder Mineralien zu sammeln. Sofort sprach er ihm seine größte Bereitwilligkeit aus, ihm in allem behilflich zu sein, bot ihm seine Radmacher und Schmiede an, bat ihn, es sich so bequem zu machen, wie wenn er im eigenen Hause wäre, veranlaßte ihn, auf einem großen Lehnstuhl Platz zu nehmen, und schickte sich an, seine Erzählung, vermutlich aus dem Gebiete der Naturwissenschaften, anzuhören.
    Aber der Gast erging sich mehr in Mitteilungen über sein Privatleben. Er verglich sein Leben mit einem Schiffe, das mitten auf dem Meere schwimme und von allen Seiten von tückischen Winden umhergetrieben werde; er erwähnte, daß er häufig habe seine amtliche Tätigkeit wechseln müssen, daß er viel für Wahrheit und Recht gelitten habe und sogar sein Leben mehrmals in Gefahr von seiten seiner Feinde gewesen sei, und so erzählte er noch gar manches, woraus hervorging, daß er vielmehr mitten im praktischen Leben stehe. Zum Schluß seiner Rede aber schneuzte er sich in sein weißes Batisttaschentuch so laut, wie es Andrei Iwanowitsch in seinem Leben noch nie gehört hatte. Manchmal findet sich in einem Orchester so eine nichtsnutzige Trompete, bei der man, wenn sie loslegt, die Vorstellung hat, das Geschmetter sei nicht im Orchester, sondern im eigenen Ohr. Ein ähnlicher Klang erscholl jetzt in den erwachenden Gemächern des schlafenden Hauses, und unmittelbar auf diesen Klang folgte ein angenehmer Duft nach Eau de Cologne, der sich infolge eines geschickten Schüttelns des batistnen Taschentuches unvermerkt verbreitet hatte.
    Der Leser hat vielleicht schon erraten, daß der Besucher kein anderer war als unser verehrter, lange von uns vernachlässigter Freund Pawel Iwanowitsch Tschitschikow. Er war ein wenig gealtert: man merkte, daß diese Zeit für ihn nicht ohne Stürme und Unruhen gewesen war. Es schien, als ob sogar der Frack, den er anhatte, ein wenig abgetragen sei und die Britschke, der Kutscher, der Diener, die Pferde und das Geschirr etwas von ihrem früheren Glanze verloren hätten. Es machte den Eindruck, als befänden sich seine Finanzen nicht in beneidenswertem Zustande. Aber der Ausdruck seines Gesichtes, sein Anstand, sein Betragen waren unverändert geblieben. Ja, sein Benehmen und seine Bewegungen schienen sogar noch anmutiger geworden zu sein, und mit noch größerer Gewandtheit schlug er ein Bein über das andere, als er sich auf den Lehnstuhl setzte. Es lag noch mehr Weichheit in dem Klange seiner Sprache, noch mehr vorsichtige Abgemessenheit in seinen Worten und Ausdrücken und noch mehr kluge Haltung und Takt in seinem ganzen Wesen. Sein Kragen und sein Vorhemd waren reiner und weißer als Schnee, und obgleich er auf der Reise war, haftete an seinem Frack kein Federchen; man hätte ihn, so wie er da war, ohne weiteres zu einem Namenstagsdiner einladen können. Backen und Kinn waren so sauber rasiert, daß nur ein Blinder sich nicht über ihre hübsche rundliche Fülle freuen konnte.
    Im Hause ging sofort eine Verwandlung vor. Derjenige Teil desselben, der bisher mit geschlossenen Fensterläden im Dunkeln gelegen hatte, wurde auf einmal hell und licht. In den nunmehr der Sonne zugänglichen Zimmern wurde alles umgestellt, und alles nahm bald folgendes Aussehen an: das zur Schlafstube bestimmte Zimmer nahm die Gegenstände auf, die zur Nachttoilette notwendig waren; das zur Wohnstube bestimmte … aber ehe ich fortfahre, muß der Leser wissen, daß sich in diesem Zimmer drei Tische befanden: ein Schreibtisch vor dem Sofa, zweitens ein Spieltisch zwischen den Fenstern vor dem Spiegel und drittens ein Ecktisch in der Ecke zwischen der Tür nach der Schlafstube und der Tür nach dem unbewohnten, mit invaliden Möbeln ausgestatteten Saale, der eigentlich jetzt als Vorzimmer dienen sollte, aber schon seit einem Jahre von niemand betreten worden war. Auf diesem Ecktisch hatten die aus dem Koffer herausgenommenen Kleider ihren Platz gefunden, nämlich: ein Paar neue, graue Frackbeinkleider, zwei Samtwesten, zwei Atlaswesten und ein Oberrock. All dies war sorgsam ein Stück über dem anderen aufgeschichtet und oben mit einem seidenen Taschentuche bedeckt. In einer anderen Ecke, zwischen der Tür und einem Fenster, war das Schuhzeug in Reih und Glied aufgestellt: ein Paar nicht mehr ganz neue Stiefel, ein anderes, ganz neues Paar, ein Paar

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