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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Schwertlilie, und in dem ersten, frischen, smaragdgrünen Grase blühte der gelbe Löwenzahn, und die lila- und rosafarbene Anemone neigte ihr zartes Köpfchen. Schwärme von Mücken und Scharen von anderen Insekten erschienen auf den Sümpfen; auf sie machte schon die Wasserspinne Jagd, und zu gleichem Zwecke sammelten sich von überallher allerlei Vögel in dem trockenen Röhricht. Und alles kam zusammen, um einander in größerer Nähe zu sehen. Die Erde bevölkerte sich auf einmal, die Wälder erwachten, auf den Wiesen erscholl mannigfaches Getön. Im Dorfe wurden Reigentänze veranstaltet. Zum Spazierengehen war nun viel Raum vorhanden. Wie hell glänzte das Grün! Wie frisch war die Luft! Wie sangen die Vögel in den Gärten! Das war ein Paradies, und alles freute sich und jubelte! Das Dorf ertönte von fröhlichem Reden und Singen wie bei einer Hochzeit.
    Tschitschikow wanderte viel umher. Spaziergänge boten sich nach allen Seiten in Hülle und Fülle dar. Bald nahm er seinen Weg über das Hochplateau mit dem Blick auf die sich unten ausbreitenden Täler, in denen überall noch große Seen von der Überschwemmung zurückgeblieben waren, aus welchen sich inselartig noch unbelaubte, dunkle Wälder heraushoben; oder aber er drang in das Dickicht, in die Waldschluchten ein, wo die dichtstehenden Bäume mit Krähennestern belastet waren und diese Vögel, unter Gekrächz wirr durcheinanderfliegend, den Himmel verdunkelten. Als das Erdreich einigermaßen ausgetrocknet war, konnte er sich nach dem Anlegeplatze begeben, von wo die ersten Schiffe, mit Erbsen, Gerste und Weizen beladen, abgingen, während gleichzeitig das Wasser mit betäubendem Getöse auf die Räder der zu arbeiten beginnenden Mühle herabstürzte. Auch ging er hin, um sich die ersten Frühjahrsarbeiten anzusehen und zu beobachten, wie sich ein schwarzer Streifen frisch gepflügten Landes durch die grüne Fläche dahinzog, und wie der Sämann mit der einen Hand gegen das ihm auf der Brust hängende Sieb schlug und mit der anderen den Samen gleichmäßig ausstreute, ohne daß ein Körnchen zu weit nach rechts oder links fiel.
    Tschitschikow knüpfte überall Gespräche an. Er redete und plauderte mit dem Verwalter und mit dem Bauer und mit dem Müller. Er erkundigte sich nach allem: was gemacht werde, und wie es gemacht werde, und wie die Wirtschaft gehe, und wieviel Getreide verkauft werde, und was im Frühjahr und im Herbst an Mahlgeld einkomme, und wie jeder Bauer heiße, und wer mit wem verwandt sei, und wo er seine Kuh gekauft habe, und womit er sein Schwein füttere, kurz nach allem. Er fragte auch, wie viele Bauern gestorben seien, und es ergab sich, daß ihre Zahl nur gering war. Als kluger Mensch merkte er alsbald, daß Andrei Iwanowitschs Wirtschaft nicht gerade brillant ging: überall Nachlässigkeit, Lotterei, Diebstahl, auch nicht wenig Trunksucht. Und er dachte bei sich: »Was ist doch Tentetnikow für ein Rindvieh! Hat ein solches Gut und läßt es so herunterkommen! Er könnte fünfzigtausend Rubel jährliche Einnahme davon haben.«
    Mehrmals ging ihm auch bei solchen Spaziergängen der Wunsch durch den Kopf, selbst der friedliche Besitzer eines solchen Gutes zu werden, das heißt selbstverständlich nicht jetzt, sondern später, wenn die Hauptsache erledigt sein und er sich im Besitz der erforderlichen Mittel befinden werde. Dabei trat ihm natürlich auch sofort das Bild eines jungen, frischen Frauchens vor die Seele, eines Frauchens mit weißem Gesicht, aus dem Kaufmannsstande oder irgendeiner anderen reichen Familie, auch etwas musikalisch. Auch die junge Generation stellte er sich vor, die dem Namen Tschitschikow ewige Dauer verleihen sollte: einen mutwilligen Jungen und ein schönes Töchterchen, oder sogar zwei Jungen, zwei oder sogar drei Mädchen, damit alle Menschen erführen, daß er wirklich gelebt und existiert habe und nicht nur so wie ein Schatten oder wie ein Phantom über die Erde dahingegangen sei, und damit er sich auch vor dem Vaterlande nicht zu schämen brauche. Dann kam ihm auch die Vorstellung, daß es ganz gut wäre, wenn ihm auch eine gewisse Rangerhöhung zuteil würde: Staatsrat zum Beispiel, das sei ein achtbarer, respektabler Titel. Und was kommen einem auf dem Spaziergange nicht alles für Gedanken, Gedanken, die einen oft der langweiligen Gegenwart entrücken, einen plagen und necken und die Phantasie in Bewegung setzen und einem sogar dann Freude machen, wenn man selbst davon überzeugt ist, daß sie sich

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