Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
schmerzlicher Bitterkeit und zeigte auf einen Abhang. »Ich kann nicht mehr hier bleiben; es ist mein Tod, diese Unordnung und Verlotterung anzusehen. Sie können jetzt mit ihm auch ohne mich abschließen. Nehmen Sie dem Dummkopf diesen kostbaren Schatz so bald wie möglich ab! Er verschimpfiert nur diese schöne Gabe Gottes.« Kostanschoglo, dessen Gesicht vor Erregung und Verbitterung ganz finster geworden war, sagte Tschitschikow Lebewohl, holte den Gutsherrn ein und verabschiedete sich auch von diesem.
»Aber ich bitte Sie, Konstantin Fjodorowitsch«, sagte dieser erstaunt, »eben erst sind Sie gekommen, und nun wollen Sie schon wieder fort!«
»Ich kann nicht bleiben. Meine Anwesenheit zu Hause ist dringend notwendig.« Er nahm Abschied, stieg in seinen Wagen und fuhr davon.
Chlobujew schien die Ursache seines schnellen Wegfahrens zu begreifen.
»Konstantin Fjodorowitsch hat es nicht aushalten können«, sagte er. »Für einen vortrefflichen Landwirt, wie er, ist der Anblick dieser Mißwirtschaft sehr unerfreulich. Glauben Sie mir, Pawel Iwanowitsch: ich habe in diesem Jahre nicht einmal Getreide gesät, auf Ehrenwort! Ich hatte kein Saatkorn, ganz abgesehen davon, daß ich nicht wußte, womit ich pflügen sollte. Ihr Bruder, Platon Michailowitsch, soll ja ein ausgezeichneter Landwirt sein, und von Konstantin Fjodorowitsch ist erst gar nicht zu reden; der ist ein Napoleon auf seinem Gebiete. Da denke ich denn wirklich oft: warum ist soviel Verstand in einen einzigen Kopf gelegt worden? Wäre doch wenigstens ein Tröpfchen davon in meinen dummem Kopf hineingekommen! Geben Sie acht, meine Herren, und gehen Sie recht vorsichtig über die Brücke, damit Sie nicht in die Lache hineinplumpsen. Ich habe befohlen, die Bohlen im Frühjahr zu reparieren. Am meisten tun mir die armen Bauern leid: sie haben ein Vorbild nötig; aber was haben sie an mir für ein Vorbild? Was soll ich mit ihnen tun? Nehmen Sie sie unter Ihre Herrschaft, Pawel Iwanowitsch! Wie kann ich sie an Ordnung gewöhnen, wenn ich selbst unordentlich bin? Ich hätte sie schon freigelassen; aber dabei wäre auch nichts Gutes herausgekommen. Ich sehe ein, daß man sie zuerst befähigen muß, verständig zu leben. Sie brauchen einen strengen, gerechten Herrn, der dauernd mit ihnen zusammenlebt und durch das eigene Beispiel unermüdlicher Tätigkeit auf sie einwirkt. Der Russe (das sehe ich an mir selbst) bedarf mit Notwendigkeit eines Antreibers, sonst schläft er ein und versauert.«
»Ja, es ist merkwürdig«, sagte Platonow. »Woher mag das kommen, daß der Russe so einschläft und versauert, und daß der gemeine Mann, wenn man nicht fortwährend auf ihn aufpaßt, ein Trunkenbold und Taugenichts wird?«
»Das kommt von dem Mangel an Bildung«, bemerkte Tschitschikow.
»Weiß Gott, woher es kommt«, sagte Chlobujew. »Nehmen Sie uns: wir haben doch eine Bildung genossen und die Universität besucht, aber wozu sind wir zu gebrauchen? Was habe ich denn gelernt? Ein ordentliches Leben zu führen habe ich nicht gelernt; dagegen habe ich die Kunst gelernt, recht viel Geld für allerlei verfeinerte Genüsse auszugeben, und bin mit Dingen, die viel Geld kosten, bekannt geworden. Liegt dieser Mißerfolg meines Studiums an meiner persönlichen geistigen Unfähigkeit? Nein, denn meinen Kameraden ist es ebenso gegangen. Zwei oder drei von ihnen haben von dem Studium einen wirklichen Nutzen gehabt, und auch das vielleicht nur deswegen, weil sie ohnehin klug waren; aber die anderen haben, gerade wie ich, nur das kennenzulernen gesucht, was die Gesundheit verdirbt und die Tasche leer macht. Weiß Gott, so ist es! Und ich habe mir darüber schon eine bestimmte Ansicht zurechtgemacht: manchmal will es mich wirklich bedünken, als ob der Russe ein verlorener Mensch sei. Er will alles tun, kann aber nichts. Er nimmt sich immer vor: ›Von morgen an will ich ein neues Leben beginnen; von morgen an will ich eine strenge Diät innehalten‹, aber das geschieht nicht: gleich am Abend desselben Tages übernimmt er sich im Essen dermaßen, daß er nur noch mit den Augen blinken kann und die Zunge ihm nicht mehr gehorcht; er sitzt da wie eine Eule und starrt die anderen an; wahrhaftig, so ist es! Und so machen’s alle.«
»Ja«, sagte Tschitschikow lächelnd, »dergleichen kommt schon vor.«
»Wir sind überhaupt nicht zum Verständigsein geboren. Ich glaube nicht, daß es einen wirklich verständigen Menschen unter uns gibt. Selbst wenn ich sehe, daß einer einen
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