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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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lügen; ich bin schon in den Sechzigern!« versetzte Pluschkin. Er schien sich durch einen derartigen, beinah freudig klingenden Ausruf gekränkt zu fühlen. Tschitschikow kam zu der Erkenntnis, daß eine solche Teilnahmslosigkeit fremdem Leid gegenüber in der Tat unpassend sei; daher seufzte er sofort und sagte, daß er es bedaure.
    »Ein solches Bedauern kann man nicht wie Geld in die Tasche stecken«, versetzte Pluschkin. »Da wohnt neben mir ein Hauptmann; weiß der Teufel, von wo er gekommen ist; er behauptet, mit mir verwandt zu sein, sagt immer ›Onkelchen, Onkelchen!‹ zu mir und küßt mir die Hand; wenn der anfängt, mich zu bedauern, dann erhebt er ein solches Geheul, daß einem die Ohren weh tun. Im Gesicht ist er ganz rot; er liebt wohl den Branntwein zu leidenschaftlich. Gewiß hat er, als er noch Offizier war, sein Geld verspielt, oder eine Schauspielerin hat es ihm abgelockt; darum bedauert er mich jetzt so!«
    Tschitschikow suchte ihm klarzumachen, daß sein Bedauern von ganz anderer Art sei als das des Hauptmanns, und daß er bereit sei, es nicht mit bloßen Worten, sondern mit der Tat zu beweisen. Er hielt es für zweckmäßig, die Sache nicht weiter aufzuschieben, und erklärte ohne Umschweife seine Bereitwilligkeit, die Abgaben für alle Bauern zu bezahlen, die durch solche unglücklichen Zufälle gestorben seien. Dieses Anerbieten versetzte, wie es schien, Pluschkin in das größte Erstaunen. Lange blickte er seinen Gast mit weit aufgerissenen Augen an und fragte endlich: »Haben Sie beim Militär gedient, Väterchen?«
    »Nein«, antwortete Tschitschikow schlau, »ich bin Zivilbeamter gewesen.«
    »Zivilbeamter?« wiederholte Pluschkin und begann mit den Lippen Kaubewegungen zu machen, wie wenn er etwas äße. »Aber wie meinen Sie denn das? Das müßte ja Ihr eigener Schade sein?«
    »Um Ihnen eine Freude zu machen, bin ich bereit, auch Schaden zu erleiden.«
    »Ach, Väterchen, ach, Sie mein Wohltäter!« rief Pluschkin, der vor Freuden gar nicht gewahr wurde, daß ihm in sehr wenig malerischer Weise der Schnupftabak wie dicker Kaffeesatz aus der Nase herauskam und die auseinandergehenden Schöße seines Schlafrocks die Unterkleidung sichtbar werden ließen, die nicht sehr anständig aussah. »Da haben Sie einmal einem alten Manne eine Freude gemacht! Ach du mein Herrgott! Ach ihr lieben Heiligen! …« Die Stimme versagte ihm. Aber es war noch keine Minute vergangen, als diese Freude, die so plötzlich auf seinem hölzernen Gesichte erschienen war, ebenso plötzlich wieder verschwand, als ob sie nie dagewesen wäre, und sein Gesicht aufs neue einen sorgenvollen Ausdruck annahm. Er wischte sich sogar das Kinn mit dem Taschentuche ab, ballte dieses dann zu einem Klümpchen zusammen und rieb sich damit die Oberlippe.
    »Aber wie ist denn das, wenn es erlaubt ist zu fragen und Sie es nicht übelnehmen wollen: beabsichtigen Sie denn, alljährlich die Abgabe für sie zu entrichten, und werden Sie das Geld mir bezahlen oder der Staatskasse?«
    »Sehen Sie, das könnten wir so machen: wir fassen über diese Seelen einen Kaufvertrag ab, als ob sie noch lebten und Sie sie mir verkauften.«
    »Ja, einen Kaufvertrag«, erwiderte Pluschkin, wurde aber nachdenklich und begann wieder mit den Lippen Kaubewegungen zu machen. »Ja, so ein Kaufvertrag. der macht auch wieder Kosten. Die Kanzleibeamten sind gar zu unverschämt! Früher fand man sich mit ihnen ab, indem man ihnen einen halben Rubel in Kupfer und einen Sack Mehl gab; aber jetzt muß man ihnen eine ganze Fuhre Grütze schicken und noch einen Zehnrubelschein dazutun, solche geldgierige Bande! Ich wundere mich, daß niemand die allgemeine Aufmerksamkeit darauf hinlenkt. Es sollte ihnen doch jemand ein freundliches Wort der Ermahnung sagen! Mit so einem Worte wirkt man ja schließlich bei jedem. Das läßt sich nicht bestreiten: einem freundlichen Worte der Ermahnung kann niemand widerstehen!«
    »Na, ich glaube, du würdest ihm doch widerstehen!« dachte Tschitschikow im stillen und sagte sofort, aus Hochachtung für ihn sei er bereit, auch die Kosten des Kaufvertrags auf seine Rechnung zu übernehmen.
    Als Pluschkin hörte, daß sein Gast sogar die Kosten des Kaufvertrags auf sich nehmen wolle, folgerte er daraus, daß dieser ein kompletter Dummkopf sei und nur so tue, als sei er Beamter gewesen, in Wirklichkeit aber Offizier gewesen sei und den Schauspielerinnen die Cour geschnitten habe. Trotzdem aber konnte er seine Freude nicht verbergen und

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