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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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wünschte nicht nur ihm, sondern auch seinen Kindern des Himmels Segen, ohne zu fragen, ob er denn auch Kinder habe. Er trat ans Fenster, klopfte mit den Fingern an die Scheibe und rief: »He, Proschka!« Eine Minute darauf hörte man, daß jemand eilig auf den Flur gelaufen kam und sich dort lange auftrampsend mit Stiefeln zu schaffen machte; endlich öffnete sich die Tür, und Proschka, ein Junge von ungefähr dreizehn Jahren, kam herein, in so großen Stiefeln, daß er beim Gehen die Füße fast aus ihnen herauszog. Warum Proschka so große Stiefel trug, das soll sogleich gesagt werden: Pluschkin hatte für das ganze Gesinde, das im Hause wohnte, nur ein einziges Paar Stiefel, das immer auf dem Flur stehen mußte. Jeder, der zum Herrn ins Zimmer gerufen wurde, mußte gewöhnlich barfuß über den ganzen Hof springen; wenn er dann aber in den Flur gekommen war, zog er die Stiefel an und erschien in dieser Gestalt im Zimmer. Hatte er das Zimmer verlassen, so ließ er die Stiefel wieder auf dem Flur und ging wieder auf seinen natürlichen Sohlen davon. Hätte jemand zur Herbstzeit, und besonders wenn es morgens schon ein bißchen friert, durchs Fenster geblickt, so hätte er sehen können, daß das ganze Gesinde solche Sprünge ausführte, wie sie kaum auf der Bühne dem geschicktesten Tänzer gelingen.
    »Nun sehen Sie nur, Väterchen, was der Bengel für eine Visage hat!« sagte Pluschkin zu Tschitschikow und wies mit dem Finger auf Proschkas Gesicht. »Er ist dumm wie ein Stück Holz; aber da soll man einmal irgend etwas herumliegen lassen, im Umsehen maust er’s! Na, warum bist du hergekommen, du Dummkopf? Sage, warum?« Hier schwieg er ein Weilchen, worauf Proschka ebenfalls durch Stillschweigen antwortete. »Stell den Samowar auf, hörst du wohl? Und da, nimm diesen Schlüssel und gib ihn Mawra; sie soll in die Speisekammer gehen: da liegt auf dem Regal ein Stück von dem Osterbrot, das mir Alexandra Stepanowna gebracht hat; das soll sie zum Tee hereinbringen! … Warte, wo willst du hin? Dummrian! Ach, du Dummkopf! Der Teufel ist dir wohl in die Beine gefahren, wie? … Höre erst zu Ende! Das Stück Osterbrot wird obenauf wohl etwas verdorben sein; da soll sie es mit dem Messer abkratzen, aber die Krümel nicht wegwerfen, sondern in den Hühnerstall tragen. Und nimm dich in acht, daß du mir nicht in die Speisekammer gehst, Freundchen, sonst werde ich dir (du weißt wohl) die Birkenrute zu kosten geben und auch dafür sorgen, daß dein Appetit, der jetzt schon ein so prächtiger ist, noch besser werde! Also versuche nicht in die Speisekammer hineinzugehen; ich werde solange aus dem Fenster sehen. – Man kann diesen Menschen in nichts trauen«, fuhr er, sich zu Tschitschikow wendend, fort, als Proschka mitsamt seinen Stiefeln sich entfernt hatte. Unmittelbar darauf begann er auch Tschitschikow argwöhnisch anzusehen. Eine so ungewöhnlich großmütige Handlung kam ihm nun doch unwahrscheinlich vor, und er dachte bei sich: »Weiß der Teufel, was das für ein Mensch ist; vielleicht ist er einfach ein Prahler, wie alle diese Verschwender: er lügt und lügt, um ins Gespräch zu kommen und Tee zu trinken, und dann fährt er weg!« Aus Vorsicht und zugleich in dem Wunsche, den Fremden ein bißchen auf die Probe zu stellen, sagte er daher, es würde gut sein, den Kaufkontrakt möglichst bald abzuschließen; denn auf einen Menschen sei kein Verlaß: heute sei einer lebendig und morgen könne ihm wer weiß was passiert sein.
    Tschitschikow erklärte seine Bereitwilligkeit zu sofortigem Abschluß des Kontraktes und erbat sich nur ein Verzeichnis aller Bauern.
    Dies beruhigte Pluschkin. Es war ihm anzumerken, daß er etwas zu tun beabsichtigte, und wirklich nahm er seine Schlüssel, ging zu dem Schranke, schloß die Tür auf und kramte lange zwischen den Gläsern und Tassen umher; schließlich sagte er: »Ich kann ihn nicht finden; ich hatte einen vorzüglichen Likör; wenn sie ihn mir nur nicht ausgetrunken haben; dieses Volk, das sind die reinen Spitzbuben! Aber nein, ist er das nicht?« Tschitschikow erblickte in seiner Hand eine kleine Karaffe, die ganz verstaubt war, so daß es aussah, als hätte sie eine Jacke an. »Den hat noch meine selige Frau fabriziert«, fuhr Pluschkin fort, »die Wirtschafterin, dieses nichtswürdige Weib, hatte sich gar nicht um ihn gekümmert und ihn nicht einmal zugekorkt, die Kanaille! Käfer und alles mögliche Zeug war hineingekrochen; aber ich habe allen Jux herausgenommen, und

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