Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
Vom Netzwerk:
jetzt ist er rein; ich will Ihnen ein Gläschen eingießen.«
    Aber Tschitschikow lehnte diesen schönen Likör eifrig ab, indem er sagte, er habe schon getrunken und gegessen.
    »Schon getrunken und gegessen!« sagte Pluschkin. »Ja freilich, daran kann man einen Mann aus der guten Gesellschaft doch gleich erkennen: er ißt nicht, sondern ist satt; aber so ein Spitzbube, der ist nicht satt zu bekommen, und wenn man ihm noch so viel gibt. Da kommt zum Beispiel dieser Hauptmann zu mir: ›Onkelchen‹, sagt er, ›geben Sie mir etwas zu essen!‹ Dabei bin ich ebensowenig sein Onkel wie er mein Großvater ist. Gewiß hat er bei sich zu Hause nichts zu essen und treibt sich daher überall herum! Ach ja, Sie wollten ja ein Verzeichnis all dieser Taugenichtse haben? Gewiß, gewiß! Ich habe sie alle, so gut ich konnte, auf ein besonderes Blatt geschrieben, um sie bei der nächsten Einreichung der Revisionsliste alle auszustreichen.«
    Pluschkin setzte sich die Brille auf und begann in seinen Papieren umherzuwühlen. Er band eine Menge Bündelchen auf und traktierte dabei seinen Gast mit so viel Staub, daß dieser niesen mußte. Schließlich zog er ein Blatt Papier hervor, das auf beiden Seiten dicht vollgeschrieben war. Die Namen der Bauern bedeckten es so eng wie ein Mückenschwarm. Es waren da allerlei Namen vertreten: Paramonow und Pimenow und Panteleimonow, ja sogar ein Grigori Eile-mit-Weile hob sich aus der Masse heraus; im ganzen waren es mehr als hundertzwanzig. Tschitschikow lächelte beim Anblick einer solchen Menge. Er steckte das Blatt in die Tasche und machte Pluschkin darauf aufmerksam, daß er zur Vollziehung des Kaufkontraktes werde nach der Stadt fahren müssen.
    »Nach der Stadt? Wie kann ich denn das? Wie kann ich mein Haus allein lassen? Das ist ja hier das ärgste Diebsgesindel: die würden mich an einem einzigen Tage so ausplündern, daß ich keinen Nagel mehr fände, um meinen Rock daran zu hängen.«
    »Dann also: haben Sie nicht irgendeinen Bekannten in der Stadt?«
    »Was soll ich da für Bekannte haben? Alle meine Bekannten sind weggestorben oder haben die Bekanntschaft mit mir aufgegeben … Ach, Väterchen! Gewiß, ich habe einen, gewiß!« rief er. »Der Gerichtspräsident selbst ist ja ein Bekannter von mir; in früheren Jahren hat er mich hier sogar manchmal besucht. Wie sollten wir uns nicht kennen! Wir sind Jugendfreunde gewesen und oft zusammen über die Zäune geklettert. Wie sollte der nicht ein Bekannter von mir sein! Sogar ein sehr guter Bekannter! … Könnte ich also nicht an den schreiben?«
    »Gewiß, schreiben Sie an ihn!«
    »Und ein so guter Bekannter von mir ist er! Wir waren in der Schule sehr befreundet.«
    Und über dieses harte, trockene Gesicht glitt plötzlich eine Art von warmem Strahl; es malte sich auf ihm zwar nicht ein Gefühl, aber doch der schwache Abglanz eines Gefühles, eine Erscheinung, ähnlich dem unerwarteten Auftauchen eines Ertrinkenden auf der Oberfläche des Wassers; dieses Auftauchen ruft ein Freudengeschrei bei der Menge hervor, die am Ufer steht; aber vergebens werfen die erfreuten Brüder und Schwestern vom Ufer aus einen Strick hin und warten, ob nicht von neuem der Rücken oder die durch das Ringen ermüdeten Arme werden sichtbar werden – jenes Auftauchen war das letzte gewesen. Alles bleibt stumm, und die stillgewordene Oberfläche des schweigsamen Elementes erscheint nun noch furchtbarer und öder. So wurde auch Pluschkins Gesicht, nachdem momentan jener Abglanz eines Gefühles darüber hingeglitten war, noch gefühlloser und widerwärtiger.
    »Auf dem Tische hat ein Quartblatt reines Papier gelegen«, sagte er, »ich weiß nicht, wo das geblieben ist; meine Leute sind eine so nichtswürdige Sorte!« Er blickte unter den Tisch und auf den Tisch, kramte überall umher und schrie endlich: »Mawra, he, Mawra!« Auf seinen Ruf erschien eine Frauensperson mit einem Teller in der Hand, auf welchem das dem Leser bereits bekannte Stück Osterbrot lag. Und nun fand zwischen ihnen folgendes Gespräch statt:
    »Wo hast du das Papier gelassen, du Diebin?«
    »Bei Gott, Herr, ich habe kein Papier gesehen außer einem kleinen Stückchen, mit dem Sie das Glas zugedeckt haben.«
    »Ich sehe es dir ja an den Augen an, daß du es gemaust hast.«
    »Wozu sollte ich es denn mausen? Ich hätte ja keinen Nutzen davon, da ich nicht schreiben kann.«
    »Du lügst; du hast es dem Küster gebracht; der kann ein bißchen schreiben; darum hast du es ihm

Weitere Kostenlose Bücher