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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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sagen, sie waren ein gutmütiges Völkchen, lebten unter sich einträchtig, verkehrten miteinander ganz freundschaftlich, und ihre Gespräche trugen das Gepräge einer besonderen Treuherzigkeit und Herzensgüte: »Lieber Freund Ilja Iljitsch!« … »Hör mal, Bruder Antipator Sacharjewitsch!« … »Du flunkerst wohl ein bißchen, Mamachen Iwan Grigorjewitsch.« Bei der Anrede an den Postmeister Iwan Andrejewitsch fügte man immer in deutscher Sprache die Frage hinzu: »Sprechen Sie deutsch?« Kurz, es ging alles wie in einer Familie zu. Viele waren nicht ohne Bildung: der Gerichtspräsident konnte Schukowskis »Ludmila« auswendig, die damals den Reiz der Neuheit noch nicht verloren hatte [8]   , und deklamierte viele Stellen daraus meisterhaft, namentlich: »Entschlummert ist der Wald, es schläft das Tal«, wobei er das darauf folgende Wort »Scht!« so sprach, daß man tatsächlich zu sehen glaubte, wie das Tal schlief; um die Ähnlichkeit noch zu vergrößern, kniff er dabei sogar die Augen zusammen. Der Postmeister widmete sich mehr der Philosophie und las sehr eifrig, sogar nachts, Youngs »Nachtgedanken« und Eckartshausens »Aufschlüsse zu den Geheimnissen der Natur«, aus denen er sich sehr lange Auszüge machte; von welcher Art allerdings diese Auszüge waren, das war niemandem bekannt. Übrigens war er ein Witzbold, ein Freund blumenreicher Redewendungen und liebte es, wie er sich selbst ausdrückte, seine Rede »aufzutakeln«. Das tat er denn mittels einer Menge von kleinen Einschiebseln wie: »mein verehrter Herr«, »verstehen Sie wohl«, »wie Sie sich vorstellen können«, »beziehungsweise«, »sozusagen«, »gewissermaßen«, und mehr dergleichen, die er massenhaft einstreute; auch takelte er seine Rede in recht gelungener Weise dadurch auf, daß er das eine Auge zusammenkniff, was seinen satirischen Bemerkungen immer einen sehr boshaften Ausdruck verlieh. Die übrigen waren ebenfalls mehr oder weniger gebildete Leute: der eine las Karamsin, ein anderer die Moskauer Nachrichten, ein dritter sogar überhaupt nichts. Der eine war, was man eine Suse nennt, d.h. ein Mensch, den man nur durch einen Fußtritt zu etwas anregen konnte; ein anderer war einfach ein Faulpelz und lag, wie man zu sagen pflegt, sein ganzes Lebelang auf der Bärenhaut; es wäre vergeblich gewesen, wenn man ihn in Bewegung zu bringen gesucht hätte, denn er rührte sich unter keinen Umständen. Was das Aussehen anlangt, so waren sie, wie bereits bekannt, sämtlich stattliche Leute, und einen Schwindsüchtigen gab es unter ihnen nicht. Alle gehörten sie zur Sorte derjenigen, denen die Frauen in zärtlichen Gesprächen unter vier Augen Namen von folgender Art zu geben pflegen: »Dickerchen, Pummelchen. Pausback, Strammerchen, Bacchus« usw. Aber im allgemeinen waren sie ein gutmütiges Völkchen und sehr gastfrei, und wer bei ihnen zu Mittag oder zu Abend gegessen oder an einer Whistpartie teilgenommen hatte, der war ihnen dadurch schon nahe gerückt, und wieviel mehr galt das für Tschitschikow mit seinen bezaubernden Eigenschaften und Manieren, für ihn, der tatsächlich das große Geheimnis kannte, wie man gefällt. Sie hatten ihn so liebgewonnen, daß er keine Möglichkeit sah, sich von der Stadt loszureißen; überall bekam er zu hören: »Ach, bleiben Sie doch noch eine Woche bei uns, Pawel Iwanowitsch, wenigstens noch eine Woche!« Kurz, er wurde, wie man zu sagen pflegt, auf den Händen getragen. Noch unvergleichlich viel größer aber und wahrhaft staunenswert war der Eindruck, den Tschitschikow auf die Damenwelt machte. Um dies einigermaßen zu verdeutlichen, müßte man vieles über die Damen selbst und über ihr gesellschaftliches Leben sagen; man müßte, wie der übliche Ausdruck lautet, mit lebendigen Farben ihre seelischen Eigenschaften schildern; aber für den Verfasser ist das eine schwere Aufgabe. Einerseits hält ihn sein grenzenloser Respekt vor den Gemahlinnen der hohen Beamten davon ab, und andererseits … andererseits ist es einfach eine schwere Aufgabe. Die Damen der Stadt N. waren … nein, ich bringe es wirklich nicht fertig: ich bin wirklich zu schüchtern. An den Damen der Stadt N. verdiente am meisten Beachtung der Umstand, daß … Es ist ganz sonderbar: die Feder läßt sich gar nicht fortbewegen, gerade als ob ein Stück Blei in ihr darin steckte. So sei es denn: über ihre Charaktere zu sprechen muß ich offenbar jemandem überlassen, der mehr und lebhaftere Farben auf seiner Palette hat; mir

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