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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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denn in dem bloßen Klange dieses Wortes, ganz abgesehen von jedem Gedanken an den Geldsack, liegt etwas, was sowohl auf Schufte als auch auf anständige Menschen als auch auf Leute, die weder das eine noch das andere sind, kurz, auf alle wirkt. Der Millionär ist in der günstigen Lage, die Gemeinheit, die ganz uneigennützige, reine Gemeinheit, die auf keinerlei Spekulationen beruht, sehen zu können: viele Leute wissen recht gut, daß sie von ihm nie etwas bekommen werden und keinerlei Anspruch darauf haben; aber doch suchen sie mit ihm zusammenzutreffen und lächeln ihn an, nehmen den Hut vor ihm ab und drängen sich zu einem Diner, von dem sie wissen, daß der Millionär dazu eingeladen ist. Man kann nicht sagen, daß bei den Damen eine solche leise Hinneigung zur Gemeinheit sich hätte wahrnehmen lassen; aber in vielen Salons begann man sich dahin zu äußern, Tschitschikow sei ja allerdings kein schöner Mann ersten Ranges, aber doch ein Mann, wie er sein müsse, und wenn er noch ein wenig dicker oder voller wäre, so würde das nicht mehr hübsch sein. Bei solchen Gelegenheiten wurden sogar einige anzügliche Bemerkungen über dünne Männer gemacht: das seien ja nur sozusagen Zahnstocher und keine Männer. Man konnte mehrfach die Wahrnehmung machen, daß für die Damentoiletten noch mehr als sonst getan wurde. Im Bazar war ein lebhafter Verkehr, beinah ein Gedränge; es bildete sich ein ordentlicher Korso, so viele Equipagen kamen angefahren. Die Kaufleute waren erstaunt, als sie sahen, daß einige Kleiderstoffe, die sie von der Messe mitgebracht, aber wegen des hoch scheinenden Preises nicht hatten absetzen können, plötzlich in Aufnahme kamen und reißend abgingen. Beim Gottesdienst fiel es auf, daß eine Dame unter dem Kleide eine so starke Unterlage hatte, daß das ausgespreizte Kleid die halbe Kirche ausfüllte und der anwesende Polizeikommissar Befehl gab, das Volk weiter zurückzudrängen, mehr nach dem Ausgange zu, damit die Toilette Ihrer Hochwohlgeboren
    nicht zerknittert werde. Selbst Tschitschikow konnte nicht umhin, die außerordentliche Aufmerksamkeit, die er erregte, zu bemerken. Als er einmal nach Hause zurückkehrte, fand er auf seinem Tische einen Brief. Von wo er kam und wer ihn gebracht hatte, konnte er nicht in Erfahrung bringen; der Kellner antwortete, der Überbringer habe ihm verboten zu sagen, von wem der Brief sei. Der Brief begann sehr energisch, nämlich folgendermaßen: »Nein, ich, eine Dame, muß an Dich schreiben!« Dann war davon die Rede, daß es eine geheime Sympathie der Seelen gebe; diese Wahrheit wurde durch mehrere Gedankenstriche bekräftigt, die beinahe eine halbe Zeile füllten. Dann folgten mehrere Gedanken, die durch ihre Richtigkeit so bemerkenswert waren, daß wir es fast für unumgänglich notwendig erachten, sie herzuschreiben: »Was ist unser Leben? Eine Schlucht, in der Leiden wohnen. Was ist die gute Gesellschaft? Ein Haufen von Menschen ohne Gefühl und Empfindung.« Dann erwähnte die Schreiberin, sie benetze mit ihren Tränen die Zeilen, die ihre zärtliche Mutter geschrieben habe; es seien schon fünfundzwanzig Jahre verflossen, seit diese nicht mehr auf der Erde weile; sie forderte Tschitschikow auf, in die Wüste zu ziehen und für immer die Stadt zu verlassen, wo die Menschen in der stickigen Einschließung keine freie Luft atmeten; der Schluß des Briefes klang sogar ganz verzweifelt, und am Ende standen folgende Verse:
    »Zwei Turteltäubchen schwirren
    Um meinen Leichenstein,
    Und traurig sagt ihr Girren:
    ›Hier fand sie Ruhe von ihrer Pein.‹«
    Die letzte Zeile hatte zwar kein richtiges Versmaß; aber das war weiter nicht schlimm: der Brief war ganz im Geiste der damaligen Zeit geschrieben. Eine Unterschrift fehlte: es stand weder ein Vorname noch ein Familienname da, nicht einmal Monat und Tag. In einem Postskriptum war nur noch hinzugefügt, sein eigenes Herz müsse die Schreiberin erraten, und auf dem am folgenden Tage beim Gouverneur stattfindenden Balle werde diese selbst anwesend sein.
    Das interessierte ihn sehr. In der Anonymität lag so viel Lockendes, so vieles, was die Neugier reizte, daß er den Brief zum zweiten und zum dritten Male durchlas und endlich sagte: »Es wäre doch interessant zu wissen, wer die Schreiberin ist!« Kurz, die Sache wurde, wie man sieht, ernsthaft; länger als eine Stunde dachte er darüber nach; zuletzt breitete er die Arme auseinander, ließ den Kopf sinken und sagte: »Aber der Brief ist doch sehr,

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