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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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steht es höchstens zu, ein paar Worte über ihr Äußeres zu sagen, über das, was mehr an der Oberfläche liegt. Die Damen der Stadt N. waren, was man präsentabel nennt, und in dieser Hinsicht konnte man sie kühn allen anderen als Muster hinstellen. Was passendes Benehmen, Wahrung des guten Tons, Beobachtung der Etikette und der vielen feinen Regeln des Anstandes, besonders aber Befolgung der Mode in ihren kleinsten Einzelheiten anlangt, so liefen sie hierin selbst den Petersburgerinnen und Moskauerinnen den Rang ab. Sie kleideten sich mit großem Geschmack und fuhren in der Stadt in Equipagen umher, auf denen nach der Vorschrift der neuesten Mode hinten ein Lakai in einer mit goldenen Tressen besetzten Livree hin und her schaukelte. Eine Visitenkarte, mochte es auch nur eine Treff-Zwei oder ein Karo-As mit dem daraufgeschriebenen Namen sein, galt als etwas Hochheiliges. Um einer solchen Karte willen hatten zwei Damen, obwohl sie die besten Freundinnen gewesen waren und sogar in verwandtschaftlichen Beziehungen standen, sich vollständig miteinander verfeindet, weil nämlich die eine von ihnen es verabsäumt hatte, einen Gegenbesuch zu machen. Und wie sehr sich auch nachher ihre Ehemänner und Verwandten bemühten, sie zu versöhnen, so gelang es ihnen doch nicht; es stellte sich heraus, daß man alles auf der Welt tun kann, nur eines nicht: zwei Damen versöhnen, die sich wegen eines verabsäumten Gegenbesuches verfeindet haben. So verharrten denn die beiden Damen »im Zustande wechselseitiger Antipathie«, wie man sich in den besseren Kreisen der Stadt ausdrückte. Über den Vorrang kam es ebenfalls oft zu sehr heftigen Szenen, infolge deren die Herren manchmal rechtlich ritterliche, hochherzige Ansichten über ihre Pflicht als Beschützer bekundeten. Duelle fanden zwischen ihnen natürlich nicht statt, da sie sämtlich Zivilbeamte waren; aber dafür suchte der eine den andern, wo es nur möglich war, mit Kot zu bewerfen, was bekanntlich für den davon Betroffenen manchmal peinlicher ist als ein Duell. Im Punkte der Moral waren die Damen der Stadt N. streng; von edler Entrüstung über Laster und Verführung erfüllt, verurteilten sie schonungslos jede Art von Schwäche. Wenn aber wirklich unter ihnen etwas von der Art vorkam, was man eine Eheirrung nennt, so kam das immer nur im geheimen vor, so daß nie recht klar wurde, was vorgekommen war; es wurde immer der gute Schein bewahrt, und sogar der Ehemann wurde so vorbereitet, daß er, wenn er von der Eheirrung etwas sah oder hörte, kurz und anständig mit dem Sprichworte antwortete: »Niemanden geht es etwas an, wenn Gevatter und Gevatterin beeinander sitzen.« Es muß noch angemerkt werden, daß sich die Damen der Stadt N. wie viele Petersburger Damen durch große Vorsicht und ein feines Gefühl für Anstand in ihren Worten und Ausdrücken auszeichneten. Niemals sagten sie: »Ich habe mir die Nase ausgeschnoben, ich schwitzte, ich spuckte aus«, sondern sie sagten: »Ich putzte mir die Nase, ich benutzte das Taschentuch.« Unter keinen Umständen war es erlaubt zu sagen: »Der Inhalt dieses Glases oder dieses Tellers stinkt«, oder auch nur eine Bemerkung zu machen, in der eine Hindeutung auf diese Tatsache gelegen hätte; sondern sie sagten statt dessen: »Dieses Glas benimmt sich nicht gut«, oder sonst etwas in dieser Art. Um die russische Sprache noch mehr zu veredeln, wurde von den Damen fast die Hälfte der Wörter ganz ausgemerzt, woraus sich dann für sie sehr oft die Nötigung ergab, ihre Zuflucht zum Französischen zu nehmen; und im Französischen war es dann eine ganz andere Sache: da waren Ausdrücke erlaubt, die weit schlimmer waren als die obenerwähnten. Das wäre es also, was sich über die Damen der Stadt N. sagen läßt, wenn man sich nur auf das Obenaufliegende beschränkt. Blickt man aber tiefer hinein, dann enthüllen sich einem allerdings noch viele andere Dinge; indes ist es sehr gefährlich, tiefer in die Frauenherzen hineinzublicken. Also wollen wir, uns auf die Oberfläche beschränkend, fortfahren. Bisher hatten alle Damen nur wenig über Tschitschikow geredet, obwohl sie seinen liebenswürdigen Umgangsformen volle Gerechtigkeit widerfahren ließen; aber seit sich das Gerücht verbreitet hatte, daß er eine Million Rubel besitze, suchten sie auch seine übrigen Eigenschaften zu erkunden. Übrigens waren die Damen durchaus nicht habgierig: schuld an allem war das Wort Millionär, nicht der Millionär selbst, sondern nur das Wort;

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