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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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sobald die Damen wieder auseinandergetreten waren und sich auf ihre Plätze gesetzt hatten, begann er von neuem sich umzuschauen, ob er nicht an dem Ausdrucke des Gesichts und der Augen erkennen könne, welche der Damen die Verfasserin sei; aber dies wollte ihm nicht gelingen. Auf allen Gesichtern lag so etwas Halbverstecktes, so etwas unfaßbar Feines – oh, so Feines! … »Nein«, sagte Tschitschikow zu sich selbst, »die Frauen, das sind Wesen …« (hier machte er eine resignierte Handbewegung); »da ist einfach nichts darüber zu sagen! Da soll mal einer versuchen, all das zu beschreiben, was über ihre Gesichter hinläuft, all diese leisen Schattierungen und verstohlenen Andeutungen … es ist einfach unmöglich, das mit Worten wiederzugeben. Schon allein ihre Augen bilden ein so unendliches Reich: wenn da ein Mensch hineingerät, so verschwindet er spurlos. Das ist ein Abgrund, aus dem man ihn mit keinem Haken wieder herauszieht. Da soll mal einer zum Beispiel versuchen, auch nur ihren Glanz zu schildern: feucht und samtig und zuckersüß ist er, und Gott weiß, was sonst noch alles! Und hart und weich und sogar ganz schmachtend oder schmelzend, oder auch nicht schmelzend, was noch schlimmer ist als schmelzend – diese Blicke greifen einem ans Herz und setzen in der Seele alle Saiten in Bewegung, als ob ein Fiedelbogen darüber hinführe. Nein, man findet einfach keine Worte, um die Frauen zu schildern; es ist eine verdeibelte Bande! Punktum!«
    Pardon! Es scheint, daß den Lippen unseres Helden ein Wort entschlüpft ist, das er auf der Straße aufgelesen hat. Aber was ist zu machen? Ein russischer Schriftsteller befindet sich nun einmal in einer üblen Situation. Übrigens, wenn ein von der Straße stammendes Wort in ein Buch hineingerät, so ist nicht der Schriftsteller daran schuld, sondern die Leser und vor allem die Leser aus den höheren Gesellschaftskreisen: gerade von ihnen bekommt man kein einziges ordentliches russisches Wort zu hören, sondern sie regalieren einen mit französischen, deutschen und englischen Brocken in solcher Quantität, daß einem davon ganz übel wird; und dabei bewahren sie noch alle möglichen Feinheiten der Aussprache: sie näseln und schnarren im Französischen und sprechen das Englische so, daß es wie eine Vogelsprache klingt, und machen noch dazu ein Vogelgesicht und lachen sogar über denjenigen, der kein Vogelgesicht zu machen versteht. Nur mit dem Russischen mögen sie nichts zu tun haben, höchstens daß sie sich aus Patriotismus auf dem Lande zum Sommeraufenthalt ein Bauernhaus in russischem Geschmack bauen lassen. Dieses Geistes Kinder sind nun einmal die Leser aus den höheren Schichten und in ihrem Gefolge auch alle, die sich selbst zu den höheren Schichten rechnen möchten! Und was stellen sie trotzdem für übertriebene Ansprüche! Sie verlangen durchaus, es solle alles in strengster, reinster, edelster Ausdrucksweise geschrieben sein; kurz, sie verlangen, daß die russische Sprache sich auf einmal ganz von selbst, vollständig ausgebildet, aus den Wolken herabsenke und sich ihnen geradezu auf die Zunge setze, so daß sie weiter nichts zu tun hätten als den Mund zu öffnen und diese Sprache zur Schau zu stellen. Gewiß, die weibliche Hälfte des Menschengeschlechtes hat ja viel Wunderliches; aber offen gestanden, die verehrten Leser kommen mir manchmal noch wunderlicher vor.
    Inzwischen fand Tschitschikow es immer noch völlig unmöglich, darüber ins klare zu kommen, wer die Verfasserin des Briefes sei. Bei dem Versuche, noch schärfer forschende Blicke auf die Damen zu richten, sah er, daß auch in deren Blicken etwas lag, was frohe Hoffnungen und zugleich süße Qualen in das Herz eines armen Sterblichen senden konnte, und sagte sich schließlich: »Nein, ich kann es nicht erraten!« Dadurch wurde aber die heitere Stimmung, in der er sich befand, keineswegs vermindert. Er wechselte in ungezwungener, gewandter Manier mit einigen Damen ein paar freundliche Worte, indem er zu der einen oder anderen mit kleinen, flinken Schritten heranging oder vielmehr herantrippelte, in der Art, wie das gewöhnlich stutzerhafte alte Herren mit hohen Absätzen tun, die sogenannten Mäusehengste, die sehr behende um die Damen herumscharwenzeln. Während er so mit recht geschickten Wendungen bald nach rechts, bald nach links umhertrippelte, machte er jedesmal sofort einen Kratzfuß, der sich mit einem kleinen Schnörkel bei der Schrift oder mit einem Komma im Satzbau

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