Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Herzen auch diejenigen, die seine Worte nur mangelhaft gehört haben; ja selbst der weit davon an der Eingangstür stehende Polizist, der von seiner Geburt an in seinem ganzen Leben noch nicht gelacht und eben erst dem Volke die Faust gezeigt hat, auch der bringt nach den unwandelbaren Gesetzen des Reflexes auf seinem Gesichte ein Lächeln zum Ausdruck, obgleich dieses Lächeln mehr so aussieht, als habe jemand eine starke Prise genommen und schicke sich nun an zu niesen. Unser Held antwortete all und jedem und verspürte eine außerordentliche Gewandtheit: er verbeugte sich nach rechts und nach links, nach seiner Gewohnheit etwas schräg seitwärts, aber völlig frei, so daß er alle bezauberte. Die Damen umringten ihn sogleich in Gestalt einer glänzenden Girlande und brachten ganze Wolken aller erdenklichen Wohlgerüche mit sich: die eine roch nach Rosen, eine andere duftete nach Frühling und Veilchen, eine dritte war ganz mit Reseda parfümiert; Tschitschikow hob nur immer die Nase in die Höhe und zog den Geruch ein. Ihre Toiletten zeugten vom höchsten Geschmack: der Musselin, der Atlas, das Nesseltuch hatten ganz blasse moderne Farben, für die sich nicht einmal Benennungen angeben ließen; so weit ging die Feinheit des Geschmacks! Flatternde Bandschleifen und kleine Blumensträuße waren an den Kleidern hier und da in malerischer Unordnung angebracht, obgleich sich mit dieser Unordnung ein kluger Kopf tüchtig abgemüht hatte. Der leichte Kopfputz hielt sich nur an den Ohren und schien zu sagen: »Paßt auf, ich fliege davon! Schade nur, daß ich meine schöne Besitzerin nicht mitnehmen kann!« Die Taillen waren eng umspannt und wiesen recht kräftige, für das Auge sehr angenehme Formen auf (es muß angemerkt werden, daß überhaupt alle Damen der Stadt N. etwas voll waren, sich aber so kunstvoll schnürten und ein so angenehmes Benehmen hatten, daß ihre Korpulenz in keiner Weise auffiel). Alles war an ihnen mit größter Umsicht überlegt und überdacht: der Hals und die Schultern waren gerade so weit entblößt, als nötig war, nicht weiter; eine jede enthüllte die Reize, über die sie verfügte, so weit, daß dieselben nach ihrer eigenen Überzeugung imstande waren, einen Mann verrückt zu machen; alles übrige wurde mit großem Geschmack versteckt: ein ganz leichtes Halstüchelchen aus Bändern, leichter als das Gebäck, das unter dem Namen Baiser bekannt ist, schlang sich luftig um den Hals, oder es ragten an den Schultern unter dem Kleide jene kleinen gezackten Streifen aus dünnem Batist hervor, die unter dem Namen Anstandsbewahrer bekannt sind. Diese Anstandsbewahrer verbargen vorn und hinten dasjenige, was nicht mehr nötig war, um einen Mann verrückt zu machen, erweckten aber dabei die Vermutung, daß gerade da der Hauptreiz versteckt liege. Die langen Handschuhe reichten nicht ganz bis an die Ärmel hinauf, sondern ließen absichtlich die lockenden Teile der Arme oberhalb der Ellbogen unbedeckt, Teile, die sich bei vielen durch eine beneidenswerte Fülle auszeichneten; bei manchen waren die Glacéhandschuhe bei dem Versuche, sie weiter hinaufzuziehen, sogar geplatzt. Kurz, es machte den Eindruck, als ob auf jedem Gegenstande geschrieben stände: »Nein, dies ist nicht eine Gouvernementsstadt; dies ist eine Residenz; dies ist Paris selbst!« Nur hier und da tauchte plötzlich eine Haube auf, wie sie die Erde noch nie gesehen hatte, oder sogar so etwas wie eine Pfauenfeder, Dinge, bei denen die Trägerin allen Moden zum Trotz ihrem eigenen Geschmacke gefolgt war. Aber ohne dergleichen geht es nun einmal nicht ab; das ist eben eine Eigenheit jeder Gouvernementsstadt: irgendwo gibt sie sich unbedingt eine Blöße. Während Tschitschikow vor den Damen stand, dachte er: »Welche ist nun wohl die Verfasserin des Briefes?« Dabei streckte er seine Nase etwas vor; aber da streifte unmittelbar an seiner Nase eine ganze Reihe von Ellbogen, Ärmelaufschlägen, Bandenden, parfümierten Chemisetts und Damenkleidern vorüber. Eine Galoppade flog Hals über Kopf an ihm vorbei: die Frau Postmeister, der Bezirkshauptmann, eine Dame mit einer blauen Feder, eine Dame mit einer weißen Feder, der georgische Fürst Tschipchaichilidsew, ein Beamter aus Petersburg, ein Beamter aus Moskau, der Franzose Coucou, die Herren Perchunowski und Berebendowski – all dies jagte wild und toll dahin …
»Na, nun geht’s los; da sieht man die Gouvernementsstadt!« sagte Tschitschikow vor sich hin, indem er zurückwich, und
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