Die Toten Vom Karst
einmal nach ihr, und wenn sie dann noch immer nicht zu Hause ist, fahren wir zurück nach Triest. Dann müssen Sie sich eben telefonisch mit ihr unterhalten.«
»Was war eigentlich zwischen Nicoletta und Gubian?«
»Gleich, beim Essen. Kommen Sie, ich habe Hunger.«
»Wohin gehen wir?«
»Es ist nicht weit: ein köstliches Restaurant! So frischen Fisch haben Sie noch nirgendwo gegessen. Wir lassen den Wagen hier.«
*
»Komm in Vaters Wohnung!« sagte Bruna.
»In einer halben Stunde bin ich da. Mach niemand anderem auf!«
Nicoletta war gegen zwanzig Uhr zurück in Triest. Die ganze Fahrt lang dachte sie über ihre Begegnung mit Gubian nach. Sie verstand nicht, weshalb sie auf einmal Angst hatte. Nicoletta hatte bisher noch nie Angst. Nur einmal in ihrem Leben war sie bisher einem ähnlichen Gefühl begegnet: als ihr Vater Manlio Gubian hinauswarf und sie zwang, sich von ihm zu trennen. Und ausgerechnet heute, nach dem Treffen mit Manlios Vater, spürte sie dieses Gefühl wieder. Nach den seltsamen Worten des alten Gubian hatte Nicoletta Angst um ihre Mutter. Sie durfte sie nicht mehr alleine lassen. Es war undenkbar, daß Gubian versuchte, ihr selbst etwas anzutun. Nicoletta war fast so groß wie er und kräftig genug, sich gegen ihn zu wehren. Aber er hatte unmißverständlich gesagt, er wolle Rache und würde sie bekommen. Viel Auswahl gäbe es nicht. Ein Stück Scheiße hatte er sie genannt. Dabei konnte er es sich doch gar nicht leisten, sie zu bedrohen. Sie hatte all die Unterlagen von damals, die Manlio ihr gegeben hatte, als er die Waffen nach Osten schleuste, und der Alte hatte doch selbst über Jahre hinweg die Ware in internationalen Gewässern ihrem Vater übergeben. Was konnte er riskieren? Und dennoch verließ Nicoletta dieses dumpfe Gefühl der Angst nicht, bis sie in der Via Stuparich ihren Wagen fast quer in eine enge Parklücke quetschte, die Treppen emporstieg und das besorgte, bleiche Gesicht ihrer Mutter sah.
»Was ist mit dir, Nicoletta? Warum warst du so aufgeregt am Telefon?« fragte Bruna im Treppenhaus vor der Wohnung ihres Mannes.
»Laß uns reingehen!« Nicoletta schob sie zurück in die Wohnung. »Gubian spinnt. Ich habe ihn heute nachmittag getroffen. Er hat damit gedroht, dir etwas anzutun, um seinen Sohn zu rächen. Er glaubt, Vater hat die Bombe gelegt, dabei ist das der größte Unsinn. Er behauptet auch, daß er Papà nicht umgebracht hat. Du darfst nicht mehr rausgehen!«
Bruna hörte ihr zuerst gleichgültig zu.
»Du bist in Gefahr, Mamma! Es wäre am besten, du führest weg.«
»Nein! Das ist unmöglich. Ich kann nicht weg. Wohin sollte ich?«
»Komm, setzen wir uns. Ist noch etwas Wein da? Ich habe Durst.« Nicoletta fand im Schrank eine halbvolle Korbflasche Merlot. »Du auch?«
Bruna nickte, und Nicoletta goß die einzigen beiden Gläser, die sich in der Küche fanden, voll.
»Was hat Gubian gesagt? Warum sollte er mir etwas antun?«
»Er ist völlig außer sich. Er ist wie Vater. Genauso entschieden und genauso starrsinnig wie Vater. Ich traue ihm alles zu. Du bist in Gefahr. Gubian weiß nicht, daß ihr euch vor langem getrennt habt.«
»Wir haben uns nie getrennt. Ugo ist nicht richtig weggegangen. Ich bin noch immer seine Frau.« Bruna schwieg einen Augenblick und sah zu, wie Nicoletta ihr Glas in zwei Zügen austrank und schnell nachschenkte. »Du bist aufgeregt, mein Kind. Hab keine Angst. Ich war heute bei Mario. Ich habe mit Mario geredet. Ich glaube, er hat Vater umgebracht.«
Nicoletta kämpfte mit dem letzten Schluck. »Was sagst du da?« rief sie hustend. »Mario?«
»Es war nur eine Kleinigkeit, die mich darauf gebracht hat. Ich habe die ganze Zeit versucht, dich zu erreichen. Mario war betrunken. Eliana sagte, er sei in den letzten Tagen nie nüchtern gewesen. Sie sagte, daß Ugo, als er sie besuchte, von einem zweiten Kutter sprach. Ich fragte Mario danach. Er stritt es ab und sagte plötzlich, wenn er Ugo schon früher umgebracht hätte, lebte Giuliano heute noch. Und dann stand er auf und ging.«
»Mario? Das ist Unsinn. Entweder du hast dich verhört oder er war wirklich besoffen. Mario hat nicht den Mumm dazu. Nein, es war Gubian, auch wenn er es abstreitet.«
»Und weshalb sollte er es dann auch noch auf mich abgesehen haben?« Brunas Stimme hatte sich schlagartig verändert.
»Egal, Mamma. Du darfst nicht mehr aus dem Haus gehen! Gleich morgen früh suche ich einen Platz für dich. Eine Kur, ein schönes Hotel mit Massagen und
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