Die Toten Vom Karst
Laurenti rauchte die elfte Zigarette an diesem Freitag, und das Wageninnere glich einem verhangenen Novembertag in Venedig. Er hatte die Rückenlehne des Beifahrersitzes ein Stück hinuntergedreht, die Füße auf die Abdeckung des Airbags gelegt und darauf gewartet, daß Živa Ravno zurückkam. Merkwürdige Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er dachte daran, wie schön es wäre, mit Živa zu schlafen, und sofort drängte sich das Bild dazwischen, wie er in der Gruft Doktor Galvanos unter Nicoletta zu liegen kam, dann erinnerte er sich an die herbe Ohrfeige, die er davor hatte einstecken müssen, und sah gleich darauf wieder Živa, wie sie an seinem Schreibtisch sitzend mit ihrer Großmutter telefonierte. Die Fischer am Molo Venezia schoben sich dazwischen und dann die Bilder dieses Mario und seines Kollegen Luca, die er widerwillig im Kommissariat abgefertigt und viel zu wenig befragt hatte. Sein dummes Vorurteil, daß es ohnehin vergebene Mühe sei, mit diesem Menschenschlag ein Gespräch zu führen, hatte ihn von seinem Instinkt abgebracht. Ich muß wieder aufmerksamer sein, sagte er laut zu sich, und verschluckte sich am Rauch. Er hustete und hörte plötzlich die Stimme Lauras, die ihn fragte, seit wann er wieder zu rauchen begonnen habe. Und dann sah er den Sicherheitsgurt, der sich zwischen Živas Brüsten spannte, und ihren BH durch den Pullover schimmern. Ungeduldig warf er die erst zur Hälfte gerauchte Marlboro aus dem Fenster.
»Meine Großmutter wird sich freuen, wenn sie die Kippen im Vorgarten sieht!« Živa Ravno war bleich und hielt sich die Wange.
»Was ist passiert? Was haben Sie?« Proteo Laurenti sprang aus dem Wagen und faßte sie an den Schultern.
»Nichts Schlimmes!« Sie nahm die Hand mit dem Taschentuch vom Gesicht und lächelte schief.
»Was ist los?« Proteo erschrak, als er die Rötung auf ihrem Nasenbein sah, und wollte ihr mit der Hand über die Wange streichen, doch Živa wehrte ihn ab.
»Nicht! Es tut so schon weh genug. Sieht es schlimm aus?«
»Nein. Ein bißchen rot. Was war los?«
»Nach rot kommt blau, dann grün, dann gelb … Kennen Sie den Kinderspruch? Ihre schöne Fischerin hat mich in die Seile geschickt! Au! Nicht, Proteo, nicht anfassen!«
Er zog seine Hand zurück.
»Wie ist das passiert? Sollen wir zu einem Arzt gehen?«
»Nicht nötig. In ein paar Tagen ist es vorbei. Sie haben sich gestritten, Nicoletta sprang etwas abrupt vom Tisch auf und traf mich dabei. Aber ich habe jedes Wort gehört. Lassen Sie uns zu meiner Großmutter gehen, damit ich mir ein bißchen Eis auf die Nase legen kann. Sie wollten sowieso mit ihr sprechen.«
»Ich denke, es wäre besser einen Arzt zu suchen!«
»Nein, nein. Das hat schon der nette Mann vorgeschlagen, der mir Erste Hilfe leistete. Er hat mir sogar seine Karte gegeben.«
Laurenti schaute drauf und riß sie ihr aus der Hand. »Das darf doch um Himmels willen nicht wahr sein!« brüllte er.
»Was?« Živa starrte ihn verblüfft an.
»Hier«, schrie Laurenti und stieß den Zeigefinger immer wieder auf die Karte. »Hier! Lesen Sie seinen Namen! Pietro Materada! Beten Sie für ihn, daß er mir jetzt nicht über den Weg läuft. Ich bring ihn um! Erst meine Frau, und dann macht er sich auch noch an Sie heran!«
Živa Ravno nahm ihm die Karte aus der Hand. »Ob das Zufall ist?« fragte sie. »Armer Proteo.« Sie legte ihre Hand an seine Wange. »Das ist wirklich mehr als ein übler Scherz. Ich kann Sie verstehen. Kommen Sie! Auf den Schreck brauche ich eine Grappa.«
Živa Ravno ging zur Haustür und klingelte. Proteo Laurenti stand einen Schritt hinter ihr und ließ seinen Blick über ihren Rücken streifen, aber er dachte nur an Pietro. Cittanova war klein, und wenn er ihn jetzt träfe, dann könnte er für nichts mehr garantieren.
Niemand öffnete. Živa Ravno schaute auf die Uhr.
»Komisch. Sie müßte eigentlich zu Hause sein.« Sie klingelte noch einmal. »Ob sie ausgegangen ist? Aber wohin um diese Zeit? Es ist fast halb acht.«
»Zeigen Sie mir Cittanova, gehen wir ein paar Schritte, dann wird sie zurück sein?«
Živa Ravno kramte in ihrer Tasche und zog einen Zettel und einen Stift heraus. Sie schrieb ein paar Worte darauf, die Laurenti nicht lesen konnte, und klemmte ihn in die Haustür. »Sie geht manchmal zum Bridge. Wie alle Damen dieses Alters. Das haben sie schon vor sechzig Jahren gespielt. Aber ich weiß leider nicht wo. Lassen Sie uns essen gehen. Ich habe Hunger. Wir schauen später noch
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