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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Mahl abzurunden. Proteo Laurenti fragte den Wirt nach einer weiteren Schachtel Zigaretten. Soviel wie heute hatte er zuletzt vor der Geburt seiner ältesten Tochter geraucht, bevor er die Qualen des Entzugs durchlitt. Das war fast dreiundzwanzig Jahre her.
     
    *
    Mario ging nicht, wie der Kellner der »Bar Italia« geraten hatte, nach Hause. Er schlurfte zum Colle di San Giusto hinauf, ging zwischen den Säulen des Forum Romanum durch und setzte sich auf den Sockel des waffenstarrenden Denkmals für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Er schaute auf die Stadt hinab, und ein regelrechter Weinkrampf überfiel ihn. Hier oben gab es niemanden, vor dem er sich schützen mußte. Mario schrie und schrie und manchmal hörte es sich an wie das Geschrei ralliger Katzen im Mai. Wieder sah er den entsetzten Blick Giulianos, bevor er über Bord ging und in der sturmgepeitschten Adria verschwand. Jeden Abend sah er ihn. Er konnte es nur ertragen, wenn er trank. Doch dann gab es oft Momente, in denen sein Schmerz noch zunahm, bevor der Rotwein seine Sinne lähmte und ihn in einen bewußtlosen Schlaf zwang. Es mußte aus ihm heraus. Mit der Faust hieb er auf den Steinsockel, bis die Knöchel bluteten. Woher wußte Bruna, daß sie nicht alleine draußen waren? War das ein Trick Nicolettas, um ihn und Luca einzuschüchtern? Und das, obwohl sie glaubten, den Spieß umgedreht zu haben, als sie Nicoletta am Morgen an der Pescheria abpaßten. Nicoletta traute er alles zu. Es paßte gut zu ihr, sich nicht so leicht geschlagen zu geben. Mario erhob sich mit einem Ächzen, wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab und machte sich wieder auf den Weg. Ein alter Mann, der Klarheit haben wollte. Er mußte nochmals mit Bruna sprechen.
    Auf dem Parkplatz vor San Giusto war ein öffentlicher Fernsprecher. Er kramte ein paar Münzen aus der Hosentasche und wählte Brunas Nummer. Als sie abnahm, wußte er nicht, was er sagen sollte, und hängte ein. Er setzte sich auf eine Treppenstufe und dachte nach. Noch zweimal versuchte er es, und jedesmal war es das gleiche: Kein Wort brachte er über die Lippen. Schließlich beschloß er, zu ihr nach Hause zu gehen. Er mußte sie vor sich haben, wenn er mit ihr sprach. Dann könnte er auch die Gefahr einschätzen, die von ihr ausging. Und notfalls handeln.
     
    Bruna hatte sich durchgesetzt. Wer könnte schon in ihre Wohnung kommen, wenn sie die Tür gut verschloß und die Kette vorhängte wie immer? Die Rolläden öffnete sie sowieso nie. Nachdem Nicoletta sich verabschiedet hatte, setzte Bruna sich in den Sessel und schaltete den Fernseher ein. Zwei Katzen drängten sich auf ihren Schoß, die anderen beiden strichen noch eine Weile um ihre Beine, bevor sie sich wie jeden Abend niederlegten und ihr die Füße wärmten. Bruna spürte den Rotwein. Sie war froh, daß sie ihrer Tochter endlich von ihrem Verdacht berichtet hatte und sich nun ausruhen konnte.
    Drei Anrufe, die sie in kurzen Abständen aufschrecken ließen, machten ihr Angst. Niemand meldete sich, sie hörte Straßengeräusche, aber keine Stimme und kein Atmen. Jedesmal wurde nach ein paar Sekunden wieder eingehängt. Bruna scheuchte die Katzen von ihrem Schoß und schaute durch den Spion. Als sie sah, daß das Treppenhaus leer war, öffnete sie die Tür und riß rasch das Namensschild von der Klingel. Jetzt stünde der Name Marasi nur noch im oberen Stock. Sie drehte den Schlüssel zweimal im Schloß und hängte die Kette vor. Bevor sie sich setzte, ging sie noch einmal zur Tür zurück und vergewisserte sich, daß sie alle Sicherungsmaßnahmen sorgfältig erledigt hatte. Dann stellte sie den Fernseher leiser. Noch einmal klingelte das Telefon. Sie hob nicht mehr ab. Bruna dachte an die Worte Marios und an den Bericht Nicolettas von ihrem Treffen mit Gubian. Der Mann war ihr unheimlich. Es war damit zu rechnen, daß er wieder nach Triest kam. Schon einmal hatte er Stunden vor dem Haus gewartet – auf Ugo. Aber auch Mario hatte etwas gesagt, das sie nicht vergessen konnte. War Mario ein Mörder? Auch wenn ihm niemand eine solche Tat zutraute: Bruna hatte genau gehört, wie er sagte, er hätte Ugo schon viel früher aus dem Weg räumen müssen. Was sollte das heißen? Daß er es wirklich war oder daß er nur mit dem Gedanken spielte? Gerade wenn man betrunken ist, sagt man doch Dinge, über die man sonst besser schweigt. Und was sollten diese Anrufe? Irgend jemand wollte ihr angst machen. Aber weshalb?
    Solange sie niemanden hereinließ, konnte

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