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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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versetzt, als sie ihn in der Bar aufsuchte. Danach mußte sie mit der Polizei gesprochen haben. Er fragte sich, weshalb sie sich ausgerechnet ihm gegenüber so verhielt. Er hatte Bruna immer gut behandelt. Vielleicht hatte Marasi doch wieder mit ihr geredet und ihr diese Lügen aufgetischt. Es war nicht vorstellbar, daß Bruna solche Geschichten erfand.
    Draußen dunkelte es inzwischen. Mario hatte in den letzten beiden Stunden alleine an dem Tischchen in der Bar gegessen, an dem er die letzten Tage verbrachte, und einen halben Liter Wein nach dem anderen in sich hineingeschüttet. Immer stärker drang die Erinnerung an die beiden verhängnisvollen Nächte in den Vordergrund. Wieder sah er die Bilder, wie Giuliano über Bord ging. Stark vergrößert sah er die Hand Giulianos an dem Tau, bevor er in den Schlund zwischen den Bordwänden stürzte. Er sah die großen Augen seines Freundes von Schreck geweitet. Er erinnerte sich an die Herzlosigkeit Ugos, der bestimmte, welche Lüge sie der Guardia Costiera aufzutischen hatten, damit ihre dreckigen Geschäfte gedeckt blieben. Mario war wütend auf ihn. Marasi hatte immer nur an sich gedacht, alle anderen nur benutzt, damit Nicoletta ihren Willen bekam. Diese häßliche Nicoletta, die jetzt schon so war wie ihr Vater mit fünfundsiebzig. Und dann stiegen die Bilder von Dienstag abend in ihm auf. Er saß am Tisch, ohne noch irgend etwas anderes wahrzunehmen. Er trank und sah die Bilder. Er wußte nicht, wie lange das dauerte, doch war es wie ein Wachtraum, aus dem er nur langsam entkam. Er verspürte Durst und bestellte noch einen halben Liter Rotwein. Der Kellner zögerte und schaute ihn besorgt an. Er wußte, daß Mario ein standfester Säufer war, doch diese Mengen heute nachmittag und dieser leere Blick in den Raum, der nicht einmal auf die Grüße der anderen Gäste reagierte, ließen ihn zweifeln, ob es richtig war, ihm weiter zu trinken zu geben. Doch schließlich lebte er davon. Mario nahm reglos zur Kenntnis, daß die neue Karaffe auf seinen Tisch gestellt und die leere abgeräumt wurde. Er hatte sich endlich entschieden. Er wußte jetzt, was zu tun war. Die einzige, die ihm gefährlich werden konnte, war Bruna. Das hatte der Kommissar ihm mitgeteilt. Das mußte er unter allen Umständen verhindern. Er mußte sie finden.
     
    Antonio Gubian kam am Samstag morgen nach Triest zurück. Das kurze Gespräch mit Nicoletta in Cittanova hatte ihn in seinem Entschluß bestärkt. Wenn er den Kontakt nicht hielte und nicht mehr als Zwischentransporteur für sie arbeitete, wenn er nicht mehr hinausführe, hatte sie gedroht, bekäme er das gleiche Paket wie sein Sohn. Er wußte jetzt, daß er ihr schaden konnte.
    Er war zuerst nach Pola zurückgefahren und hatte fast die ganze Nacht kein Auge zugetan. Er wußte seit damals, als sie sich nach langen Jahren wiedergesehen hatten, daß Marasi ihn verdächtigte, für den Tod seiner Schwester Violetta verantwortlich zu sein. Deswegen war er nach dem Krieg nicht mehr nach Cittanova zurückgekehrt und hatte sich Arbeit in Pola gesucht. Bei Marasi hatte er immer mit dem Schlimmsten gerechnet. Jede Nacht, wenn sie sich auf dem Meer trafen. Gubian war jedesmal vorbereitet, er fuhr nie ohne seine alte russische Armeepistole im Hosenbund zum Treffen mit Marasi. Seine Männer kannten die Geschichte nicht. Mißtrauisch stand Gubian am Steuer und ließ Marasi keine Sekunde lang aus dem Auge. Und Marasi stand wie sein Spiegelbild im Steuerhaus der »San Francesco«. Sie sprachen nie miteinander. Gubian überlegte oft, ob Marasi auch damit rechnete, angegriffen zu werden. In mondhellen Nächten sahen sie sich deutlich. Einer starrte den anderen an, während sie mechanisch Ruder und Maschine regelten und ihre Männer die Ware von Deck zu Deck verluden. Und Gubian dachte mehr als einmal daran, die Pistole zu ziehen und Marasi einfach abzuknallen. Aber er hätte es nicht erklären können, niemandem, und außerdem war er sich sicher, daß Marasis Tochter sofort seinen Sohn ans Messer lieferte. Manlio wäre zwar höchstens zwei Jahre ins Gefängnis gegangen, aber sein Ruf wäre ruiniert gewesen, die Familie ins Mark erschüttert und auch die monatlichen Zahlungen an den Vater ausgeblieben. Es wäre so leicht gewesen, Marasi zu erledigen, doch die Folgen wären schlimmer gewesen, als ihm einmal die Woche auf dem Meer zu begegnen. Gubian blieb wachsam.
    Nicoletta hatte damit gedroht, daß die Leute, für die sie beide arbeiteten, ihn aus dem Weg

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