Die Toten Vom Karst
Haare schnitt. Darauf hatte Proteo gehofft. Deswegen meldete er sich nie an. Er war der Meinung, daß sie seinem Kopf besser bekam als der Chef. Außerdem redete sie nicht so viel und vor allem leiser.
Er rutschte tief in den Sessel, in den er nach dem Haarewaschen gebeten wurde, damit es die kaum ein Meter fünfzig große Gehilfin leichter hatte.
»Kurz, wie immer?« fragte sie.
»Ja, ja. Wie immer«, sagte er und schloß die Augen, als sie seinen Kopf nach vorne drückte und damit begann, seinen Nacken auszuputzen.
»Ganz schön gewachsen«, sagte sie.
»Ach ja?« sagte er mit geschlossenen Augen.
»Wann waren Sie zum letzten Mal hier?«
»Keine Ahnung«, antwortete er leise.
»Wolle ist genug drauf.«
»Ja, ja.« Er achtete nicht mehr darauf, was sie sagte. Beim Friseur zog er es schon seit langem vor, sich zu entspannen und zu dösen. Erst als die Schere an der Stirn entlang schnippte, öffnete er die Augen wieder. Dann hörte er sein Telefonino. Die Friseuse unterbrach ihre Arbeit, während er unter dem Umhang mit dem Blumenmuster in seiner Jacke nach dem Telefon suchte.
»Pronto!«
»Sgubin hat Nicoletta verloren, und Gubian ist auch weg. Nicoletta hat Sgubin ausgetrickst. Irgend etwas braut sich da zusammen. Ich habe alle verfügbaren Streifen losgeschickt, aber bis jetzt hat sie noch niemand gesehen.«
»Wann war das?«
»Gleich nachdem du weggegangen bist!«
»Ich komme sofort!« sagte er und sprang auf. »Schick mir einen Wagen!«
»Wohin?«
»Zum Friseur«, sagte Proteo Laurenti und schaltete das Telefon ab. »Was macht das?« fragte er, während er an dem Umhang zerrte.
»Aber Sie sind doch noch gar nicht fertig! Es dauert nur noch fünf Minuten«, sagte die Gehilfin.
»Ich komme nachher wieder!«
Oskar faßte ihn am Arm und trimmte mit drei Schnitten rasch die längsten Strähnen, dann knöpfte er ihm den Umhang auf.
»So ist es besser«, sagte er dann. »Das fällt nicht gleich jedem auf, auch wenn es nicht schön ist. Wir sind bis halb acht Uhr da. Schauen Sie einfach kurz rein.«
Die kleine Friseuse stand mit besorgtem Gesicht daneben. Sie war nicht damit einverstanden, daß ihr Kunde so den Salon verließ. »Kurz, wie immer«, hatte er verlangt und sie war auf der linken Seite doch erst am Anfang. Proteo Laurenti stürmte aus dem Laden, als der blauweiße Streifenwagen mit laufender Sirene und aufgeblendeten Scheinwerfern heranschoß. Die Friseuse schüttelte lachend und zweifelnd zugleich den Kopf.
»Das ist ein hoher Polizeibeamter!« sagte Oskar stolz zu dem anderen Kunden, der sich das schon gedacht hatte. »Der kommt seit vielen Jahren. Aber das ist bisher noch nie passiert. Wer weiß, was da wieder los ist.«
Laurenti nahm zwei Treppenstufen auf einmal, als er in den dritten Stock hinauf rannte. Der Aufzug wäre zu langsam gewesen. Außer Atem stürzte er in sein Vorzimmer, in dem Marietta und Sgubin auf ihn warteten.
»Wie konnte das passieren?« rief er.
»Verdammt, was hätte ich tun können?« fluchte Sgubin. »Eine Dreiviertelstunde habe ich auf Nicoletta gewartet. Sie ist durch den Hinterhof entwischt. Aber wie hätte ich das riechen sollen. Erst stand ich drei Stunden vor dem Laden und dann noch das. Das ist nicht besonders witzig.«
»Und jetzt? Was machen wir jetzt?« Laurenti steckte sich eine Zigarette an. »Gubian ist natürlich auch weg! Mit Nicoletta hast du auch ihn verloren! Es war doch klar, daß er ihr folgte.« Er ging in sein Zimmer hinüber und knipste das Licht an. Marietta und Sgubin folgten ihm.
»Warst du bei Nicoletta zu Hause?«
»Ja. Aber dort war sie auch nicht.«
»Ich habe eine Zivilstreife hingeschickt. Wir werden informiert, sobald sie auftaucht«, sagte Marietta.
»Wenigstens das«, murrte Laurenti und schnippte die Asche in den Papierkorb. »Mist, es ist schon fast dunkel. Das paßt mir gar nicht. Marietta, schärfe den Männern in der Via Stuparich unbedingt ein, wachsam zu sein, und gib nochmals die Personenbeschreibungen durch. Sgubin, du kommst mit mir. Wir gehen spazieren. Oder nein, es ist besser, du setzt dich in den Wagen und fährst die Straßen ab. Ich gehe zu Fuß. Irgendwo müssen wir sie doch entdecken.«
»Und wo soll ich rumfahren?«
»Überall zwischen den Rive und der Via Stuparich! Ganz einfach durch das Zentrum. Und noch etwas: Such auch diesen Mario.«
»Von dem wissen wir, wo er ist«, sagte Marietta. »Eine Streife hat es durchgegeben.«
»Und wo? Sag schon!«
»Vor einer halben Stunde war er in der
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