Die Toten Vom Karst
räumten, wenn er nicht mehr mitmachte. Damit konnte sie ihn nicht einschüchtern. Aber als sie begriff, daß er keinen Spaß machte, und als er damit drohte, Manlio zu rächen, sagte sie, daß er mit einem Paket mit einer Bombe zu rechnen hätte, wie sein Sohn. Darüber schloß Gubian kein Auge. Welches Motiv hatte Nicoletta? Er konnte sich bei einer so aggressiven Frau nicht vorstellen, daß es lediglich blinder Gehorsam gegenüber ihrem sturen Vater war.
Er war früh am Morgen nach Triest gefahren. Am Montag mußte er ohnehin mit dem Notar sprechen, der den Verkauf von Manlios Feinkostgeschäft regeln sollte. So blieben ihm Samstag und Sonntag, die er nutzen konnte. Er wollte die Sache regeln. Von der Polizei erwartete er sich nichts. Man mußte die Dinge selbst in die Hand nehmen, wenn man weiterkommen wollte. Gubian beschloß, Druck zu machen. Nicoletta sollte ihn jede Minute sehen müssen. Er würde ihr einfach folgen, bis sie redete. Und ihre Mutter gab es auch noch. Antonio Gubian war sich sicher, daß er in jedem Fall die Richtigen traf, egal an wen von beiden er sich hielte. Auch dazu war eine Familie gut.
In Triest hatte er wieder ein Zimmer in der »Blauen Krone« genommen, für 39000 Lire die Nacht. Es war nicht weit zu Nicoletta. Kurz nach zehn Uhr baute er sich auf der anderen Straßenseite auf und starrte zum Laden. Ein kräftiger, alter Mann in einem kurzen grauen Mantel, mit einer blauen Mütze auf dem Kopf und die Hände tief in den Manteltaschen verborgen. Die Passanten, die ihre Samstagseinkäufe machten, mußten sich an ihm vorbeidrängen. Er stand mitten auf dem Gehweg und wich keinen Schritt zur Seite.
An diesem Samstagmorgen lief das Geschäft gleich ab acht Uhr, als sie den Laden öffnete, ausgezeichnet. Die Kunden gaben sich die Klinke in die Hand und Nicoletta mußte selbst in den Laden. Ihre Mitarbeiter hatten sie gerufen. Sie ordnete rasch die Papiere, über denen sie in ihrem Büro saß, sperrte dann die Tür sorgfältig ab und ging nach vorne an die Kasse. Mehrmals mußten sie aus den Kühlfächern Nachschub holen, um die Fischtheke wieder aufzufüllen. Für die Restaurants gäbe es heute weniger günstige Restware nach Ladenschluß zu kaufen. Nicoletta war zufrieden und für ihre Verhältnisse gut gelaunt, sogar zu kleinen Plaudereien mit den Kunden bereit. Bis zwanzig nach zehn, als es für einige Minuten ruhiger zuging. Ihr Blick fiel auf die Straße und sie erschrak. Der alte Mann auf der anderen Seite war Gubian. Langsam glitt Nicoletta von ihrem Hocker und schaute hinüber. Sie wußte nicht, wie lange er dort schon stand und sie anstarrte. Er bewegte sich nicht einmal vom Fleck, als zwei mit Einkäufen schwer bepackte alte Damen ihn mit ihren prallen Plastiktüten anstießen. Gubian stand einfach da, wie ein Denkmal. Nicoletta wurde durch eine Kundin, die bezahlen wollte, aus ihrer Beobachtung gerissen. Sie tippte den Betrag in die Kasse, zählte das Rückgeld ab und murmelte ein Dankeschön. Dann ging sie langsam auf den Gehweg hinaus, stellte sich vor das Schaufenster und ließ Gubian nicht aus den Augen. Er reagierte nicht. Nicoletta ging an die Kasse zurück und beobachtete ihn weiter. Ihre gute Laune war verflogen und die alte Einsilbigkeit zurückgekehrt. Eine halbe Stunde später ging sie wieder hinaus. Entschlossen überquerte sie die Straße und baute sich vor Gubian auf, der durch sie hindurchzuschauen schien. Sie forderte ihn auf, zu verschwinden, doch er reagierte nicht. Nur ein einziges Mal antwortete er. »Sie werden mich nicht vergessen!« Nicoletta stieß Drohgebärden aus, drohte mit der Polizei, doch Gubian blieb stumm und bewegungslos. Wütend zog sie wieder ab. Gegen Mittag parkte Sgubin seinen Wagen in der Einfahrt gegenüber, lehnte sich an die Karosserie und starrte ebenfalls auf die »Boutique du poisson«. Sie rätselte, was dies zu bedeuten habe. Sie rechnete damit, daß bald auch Laurenti auftauchte und ein paar Streifenwagen. Nicoletta gab trotz des vollen Ladens einem der Verkäufer die Anweisung, sich um die Kasse zu kümmern, und ging durch den Hintereingang über den Hof in ihr Büro. Rasch packte sie ein paar Papiere zusammen, zerriß und zerknüllte sie, warf sie in einen Blecheimer und zündete sie an. Sie mußte das Fenster und die Tür des Verschlags öffnen, damit der Rauch abzog. Dann ging sie zurück in den Laden und setzte sich wieder an die Kasse.
Ab dreizehn Uhr war in fast allen Edelstahlwannen nur noch das Eis geblieben.
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