Die Toten Vom Karst
›Bar Italia‹ und betrank sich systematisch. Von dem wird kaum etwas zu erwarten sein, besoffen wie er ist.«
»Darauf kannst du dich nicht verlassen. Behaltet ihn im Auge. Fahr zuerst dort hin, Sgubin. Ich gehe rüber in den Viale und dann in die Via Stuparich. Wir verständigen uns sofort, wenn auch nur das geringste passiert. Verstanden? Egal was, wir geben es sofort durch, klar?«
Sgubin und Marietta nickten. Laurenti zog seine Jacke an und ließ sich von Marietta ein Funkgerät geben.
*
Sie ging am Nachmittag hinauf, nachdem sie zuvor Nicoletta informiert hatte, daß sie oben Ordnung machen wolle.
Von Ugo Marasis Leben berichteten nur wenige persönliche Gegenstände. Die Schrankfächer waren teilweise fast leer. Kaum Kleidung und wenig Krimskrams, wie man ihn in einem langen Leben anhäuft: Briefe, Fotografien, Dokumente, Andenken, Zeitungsausschnitte und Bücher. Ein paar Postkarten lagen zwischen einer Versicherungspolice und uralten Quittungen, auch eine Schachtel mit alten Fotografien und die verschiedensten Papiere. Sie zog alles aus den Fächern und legte es auf den Tisch. Mit einer Mischung aus Neugier und dem Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, nahm sie jeden Gegenstand in die Hand und betrachtete ihn eingehend oder las die Seiten durch, die das Zeugnis von Ugos Leben in den letzten Jahren waren, von dem sie außer dem Geräusch seiner Schritte in der Wohnung über ihr nichts kannte. Sie hatte Durst und ging in die Küche, wo die Korbflasche stand. Nicht einmal an Festtagen hatte sie bisher ohne Gesellschaft ein Glas Wein getrunken, doch heute goß sie sich von dem Merlot ein und setzte sich zurück an den Tisch, um ihre Arbeit fortzusetzen. »Ich muß hier Ordnung machen«, sagte Bruna zu sich selbst. »Erst hier und später auch unten. Ich muß Ordnung machen, jetzt wo er tot ist. Ordnung …« Sie verstummte, als sie das Telefon in ihrer Wohnung unten klingeln hörte, aber sie stand nicht auf. Also hatte auch Ugo die ganzen Jahre über sie gehört – also hatte auch Ugo auf diese Weise mit ihr gelebt und immer gewußt, in welchem Zimmer sie sich aufhielt – ob Schlaf- oder Wohnzimmer, Toilette, Bad oder Küche. Ugo wußte immer, was sie gerade tat. Sie war ihm die ganze Zeit so nahe, wie er ihr.
Ihr Telefon hatte aufgehört zu klingeln. Bruna trank noch einen Schluck Merlot und holte eine Plastiktüte aus der Küche. Sie setzte sich wieder an den Tisch und begann, Ugos Unterlagen zu sortieren. Was sie für unwichtig und wertlos hielt, steckte sie in die Tüte. Es bleib nur wenig übrig. »Ich muß hier Ordnung machen«, murmelte Bruna vor sich hin. Nach einer Weile schlief sie im Sitzen ein.
Nicoletta folgte Gubian mit großem Abstand. Sie trat nie in eine Straße, die er noch nicht verlassen hatte, sondern wartete hinter der Ecke, bis er abgebogen war und beschleunigte dann ihre Schritte, um ihn wieder einzuholen. Einmal fragte sie sich, warum sie das tat, zumal Gubian kein festes Ziel zu haben schien. Irgendwann ging er die Via San Nicolò hinunter und dann weiter Richtung Börsenplatz. Vom Sauerkrautgeruch angezogen, der aus dem »Pepis« drang, dem Traditionsbuffet mit Eisbein, gekochter Zunge und Schweinebauch, nahm Gubian sein Mittagessen dort ein. Nicoletta fluchte. Sie stand in der Via Cassa di Risparmio und wußte nicht, wie lange Gubian in dem Laden bleiben würde. Nicoletta entschied, in die Bar schräg gegenüber zu gehen. Auch sie hatte Hunger und sie konnte von dort aus den Eingang zum »Pepis« im Auge behalten.
Gubian trank ein Bier zum gekochten Schweinebauch mit frischem Meerrettich und las den »Piccolo«, den ein anderer Gast auf dem Tisch hatte liegen lassen. Die Ausfälle der rechtsnationalen Politiker gegen den Minderheiten-Schutz für die Slowenen schwappten schon auf der Titelseite über. Die Rechte bäumte sich auf, von den Extremisten lautstark unterstützt, und sprach von übelster Unterdrückung der Italianità in Istrien. Zuerst müßten die Opfer der Foibe durch die Slowenen anerkannt werden, bevor Italien einen Schritt machen dürfe. Einen der abgelichteten Politiker erkannte er. Er saß ein paar Tische vor ihm im Lokal. Ein ehemaliger rechtsextremer Schläger, wie man sich erzählte, der für die Alleanza Nazionale im Parlament saß und von der Eigenheit seiner Bewegungen an Frankensteins Monster erinnerte, egal wie teuer der Anzug war, in dem er steckte. Gubian starrte ihn, ohne es zu merken, an. Was sollte er jetzt tun? Nicoletta hatte er
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