Die Toten Vom Karst
freigegeben?«
»Ich hoffe bald, Signor. Wie kann man Sie erreichen?«
»Ich wohne in der Pension ›Blaue Krone‹.«
Laurenti runzelte die Stirn. Die Absteige mit dem deutschen Namen in der Via XXX Ottobre hatten sie erst vor einem halben Jahr als illegales Puff ausgeräumt, aber Gubian schien es nichts auszumachen, er war nicht verwöhnt und die Zimmerpreise waren niedrig.
»Warum sind Sie damals in Pola geblieben?«
»Warum sollte ich weg? Wir waren eine gemischte Familie. Mein Vater war Italiener, meine Mutter Kroatin. Es ging uns gut. Besser als unter den Faschisten und unter den Nazis. So schlecht war der Kommunismus nicht, wie die Leute heute alle sagen. Erst recht nicht in Jugoslawien und schon gar nicht in Istrien.«
»Und Sie haben Ihr ganzes Leben lang als Fischer gearbeitet?«
»Bis heute. Dank Manlios Hilfe konnte ich mir vor einigen Jahren einen großen Kutter kaufen. Ich fahre hinaus bis zum letzten meiner Tage. Aber ich hoffe, der kommt nicht, bevor der Mörder meines Sohnes büßt. Finden Sie ihn, Commissario!«
Gubian stand auf. Den Kaffee hatte er nicht angerührt.
*
Der Aufmacher auf der Titelseite der Tageszeitung »Il Piccolo« hielt mit Spekulationen nicht zurück. Neben einem sommerlichen Foto, das das idyllische, unversehrte Contovello von der Stadt aus zeigte, prangte die Headline des Tages. »Una-Bomber in Contovello?« Im Innenteil ging es entsprechend weiter, mit Fotos von den Trümmern, der Opfer und der Messe. Allein die Tatsache, daß es bisher keine Hinweise auf den Täter gab, genügte offensichtlich, Parallelen zu einem Anschlag im Hochsommer am Badestrand von Lignano Sabbiadoro zu ziehen, bei dem ein Badegast, ausgerechnet ein pensionierter Carabiniere, einen verdächtigen Gegenstand aus dem Wasser zog, der noch in seiner Hand detonierte. Später gab es einen zweiten Fall, weiter nördlich in den Weinbergen des Collio, dem zwei Menschen zum Opfer fielen. Erste Vermutungen deuteten auf einen Wahnsinnigen, der seit sechs Jahren sein Unwesen im Friaul trieb und in diesem Sommer die beiden größten Attraktionen der Region angriff: das Meer und den Wein. Dann kamen weitere Anschläge hinzu. In Lebensmittelpackungen versteckte Sprengsätze, darunter ein mit Sprengstoff gefülltes Ei und eine Tube Tomatenmark, die in Supermärkten deponiert waren. Das explosive Tomatenmark riß einer Frau zu Hause in der Küche die halbe Hand ab. Inzwischen versuchte man, dem Täter mit Hilfe der DNA auf die Spur zu kommen.
Aber Contovello? Der Una-Bomber? Das ging selbst dem »Piccolo« zu weit. Ein langer Artikel lobte das Dörfchen, dessen Schönheit sich nicht hinter der Amalfi-Küste verstecken mußte, daß es schon zu Zeiten des römischen Imperiums eine wichtige Festung bildete, von der außer ein paar alten Fundamenten allerdings nichts mehr zu sehen war; daß von hier vielleicht der sagenhafte Vino del Puccino kam, den die Gemahlin des Kaisers Augustus angeblich so liebte, oder daß Contovello im Mittelalter vermutlich ein Piratennest war, das die Schiffe im Golf von Triest plünderte, oder auch daß 1444 per kaiserliches Dekret die ersten Sklaven hier angesiedelt wurden. Aber nichts deutete darauf hin, daß Contovello im Zentrum irgendeines Interesses lag, das einen solchen Anschlag als die Tat des Una-Bombers aus dem Friaul erklären würde. Nach Contovello kam man von außerhalb nur während zweier Monate im Jahr, im Juli und August, wenn man unter der schattenspendenen Pergola der Osmiza, unter der man zu saurem Weißwein oder fast schwarzem Terrano wunderbare Pancetta, Salami und Schinken aß, einen unvergleichlich schönen Ausblick auf die Stadt und den Golf hatte. Doch der »Piccolo« spekulierte weiter: war Contovello nicht überwiegend von der sogenannten slowenischen Minderheit bewohnt, war der Täter deshalb vielleicht im faschistischen Umfeld zu suchen? Und hatte diese Tat etwas mit dem Neonazi-Treffen zu tun?
Laurenti legte das Blatt zur Seite, als Sgubin ins Zimmer kam.
»Gubian war politisch nicht aktiv.« Laurenti zeigte mit dem Finger auf den Artikel. »Warum also er? Das ist doch an den Haaren herbeigezogen.«
»Dachte ich auch«, Sgubin hielt eine Akte unter dem Arm. »Der Pfarrer hätte ein Motiv!«
»Was redest du da?«
»Jetzt hat man von der Kirche aus wieder einen freien Blick.«
»Hör auf! Solche Scherze macht man nicht, Sgubin!«
»Und ein solches Grundstück gibt es nur ein einziges Mal in der ganzen Umgebung. Das ist doch sonst nur Politikern
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