Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
Vom Netzwerk:
bin immerhin in Amerika aufgewachsen. Da gab es sogar den Grand Canyon oder die ganze Skyline von New York als Puzzle in 10000 Teilen. Mir war das aber immer zu langweilig. Und jetzt bringst du mir gleich drei dieser dummen Spiele, und ich soll sie wieder zusammensetzen. So langweilig kann einem gar nicht sein. Und dann noch das Kind im siebten …«
    »Hören Sie auf, Galvano! Das will ich gar nicht wissen!«
    »Was willst du dann wissen?«
    »Die Angehörigen fragen, wann die Leichen freigegeben werden.«
    »Sag ihnen, sie können gleich vorbeikommen, wenn wir alle drei in einen Sarg packen dürfen. Das wird auch auf dem Friedhof billiger. Bestehen sie aber darauf, daß jeder in eine eigene Kiste soll, wohl kaum vor morgen. Denn dann müssen wir sortieren. Sonst noch was?«
    »Ja, ich wollte ein paar Dinge von Ihnen wissen, eher privat.«
    »Dann laß uns zusammen Mittag essen. Holst du mich ab? Ich bin zu alt, um bei diesem Dreckwetter alleine auf die Straße zu gehen.«
    »Nehmen Sie doch ein Taxi, dann muß ich wenigstens nicht zweimal durch die ganze Stadt fahren. Was halten Sie vom Chinesen in der Via Brunner?«
    »Auch recht, Laurenti. Um eins.« Galvano hängte ein, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Laurenti hatte oft gerätselt, ob das Verhalten des Alten eine Konsequenz des Berufs war, oder umgekehrt der Beruf eine Konsequenz des Sarkasmus. Welcher normale Mensch schnitt gerne an Toten herum, die manchmal schon verwest waren, setzte aus dem Darminhalt das letzte Menü zusammen oder stellte fest, welcher Art der letzte Geschlechtsverkehr eines Opfers war? Aber Laurenti schätzte die unerwarteten Deutungen und Sichtweisen des Alten, und manchmal hörte er sogar etwas wie freundliche Fürsorge als leise Zwischentöne aus dem Gepolter Galvanos heraus.
    Die Bora nera tobte noch immer, aber im Vergleich zum Vortag hatte sie deutlich an Kraft verloren. Dafür war der Schneefall gleichmäßig dick. Laurenti stand am Fenster und überlegte, wie lange er brauchte, um zum Chinesen zu gehen.
     
    *
    »Wir fahren heute, Nicoletta. Sag Gubian Bescheid.«
    »Du bist ein Schatz, Papà! Ich wußte es. Danke.«
    »Wir brauchen heute nur halb soviel Eis. Laß es wie üblich vorbeibringen.«
    »Ja.«
    Länger sprachen sie nicht miteinander. Auch sonst kaum. Nach dem Gespräch mit seiner Tochter griff Ugo Marasi noch einmal zum Telefon und wählte die Nummer Giulianos.
    »Wir fahren heute.«
    »Hab ich mir gedacht«, antwortete der andere Fischer. »Es wird schon gehen. Der Schnee stört nicht, und wahrscheinlich legt sich die Bora bis heute abend noch etwas.«
    »Ruf die anderen an, Giuliano!«
    »Mach ich. Um fünf?«
    »Wann sonst? Später hat keinen Sinn.«
    Marasi legte auf und goß sich das erste Glas Merlot an diesem Tag ein. Es war noch nicht elf und er würde bis sechzehn Uhr schlafen können. Kommende Nacht über sicher nicht. Wenn das Meer ruhiger war, konnten sie sich abwechseln, während der Kutter das Schleppnetz zog und bevor sie es einholten, aber heute war die See rauh und schwer zu befahren. Marasi trank ein zweites Glas, schlurfte dann in sein Schlafzimmer, zog die Vorhänge zu und legte sich ins Bett. Er schlief schnell ein.
     
    *
    Zehn Minuten lang schlitterte Laurenti über die Bürgersteige, bis er sich endlich den Schnee von der Jacke klopfen und die Tür zum Restaurant öffnen konnte. Galvano saß mit einem Bierglas in der Hand an einem Tisch vor dem zweiten Aquarium, in dem kleine bunte Fische mit langen, schleierartigen Flossen herumschwammen.
    »Lange nicht gesehen, Laurenti«, Galvano, wie immer im grauen Anzug mit Weste, weißem Hemd und Krawatte schien noch dünner geworden zu sein. Der große Schädel auf diesem langen, mageren Körper wirkte übermächtig.
    »Bleiben Sie sitzen, Doc! Wie geht’s?«
    »Was soll ich mich beklagen? Die Treppen bin ich früher schneller hochgekommen. Aber was muß ich alter Esel mit fast achtzig Jahren auch in der Costiera wohnen und jeden Tag hundert Treppen steigen?«
    Die Laurentis hatten ihn vor vielen Jahren einmal in seinem Paradies besucht. Den Blick über den Golf bis Pirano und Punta Salvore zur Linken, Grado und Lignano zur Rechten, bezahlte man in der Tat mit Atemlosigkeit und weichen Knien. Dafür lebte der Alte dort völlig ungestört unter Bäumen, die mindestens so alt waren wie er selbst. Zu Anfang hatte er noch darunter gelitten, daß die vier räudigen Hunde seiner verwahrlosten Nachbarin ununterbrochen kläfften. Doch irgendwann erwähnte er sie

Weitere Kostenlose Bücher