Die Toten Vom Karst
neben der Kneipe war ein Plakat angeschlagen: »Entzündet im Dunkel der Politik das Licht der ›Fiamma Tricolori‹! Gegen die Zweisprachigkeit in der Region Friaul Julisch-Venetien. Erheben wir uns endlich, um die slawisch-nationale Attacke zurückzuwerfen. Triest unterwirft sich nicht! Fackelzug der ›Fiamme Tricolori‹ am 30. November!«
Sauber, murmelte er vor sich hin.
Der berühmte Barmann war nicht zu sehen. An seiner Stelle stand hinter der Bar eine junge Frau mit rotblondem Haar, gepiercter Zunge und einem großen Tattoo dort, wo das knappe Hemdchen eine Stelle auf ihrem Rücken über dem sehr tiefsitzenden Gürtel freiließ. Sie war vermutlich im Alter seiner ältesten Tochter und grüßte freundlich, als er eintrat. Offensichtlich gehörte es zum Charakter der jungen Triestiner Duce-Anhänger, sich von solchen netten Leuten bedienen zu lassen.
Viel los war nicht bei diesem Wetter. Am Tresen standen drei Zwanzigjährige mit schwarz-weiß-roten Abzeichen am Ärmel, die wie Zielscheiben mit einem dicken schwarzen Fadenkreuz aussahen. Vor ihnen Bier. Das Motto der Bar stand auf einem Schild: Zahl vier, trink fünf! 1 ½ Liter Bier im Krug 9000 Lire. In der anderen Ecke übte sich ein junges Pärchen im Marathonknutschen. Der junge Mann saß auf einem Hocker, das Mädchen stand davor und beugte sich leicht über ihn. Er wärmte seine Hände unter ihrem Pullover. Weiter vorne zwei Typen in schwarzen Lederjacken, noch keine dreißig. Einer wedelte großmäulig mit einem Dienstausweis der Carabinieri. Laurenti sah auf den ersten Blick, daß es eine billige Fälschung war.
Die junge Frau hinter dem Tresen mußte ihn zweimal fragen, was er trinken wollte. Proteo Laurenti bestellte einen Toast und einen Caffelatte. Trotz Piercing und Tattoo fand er sie hübsch und sympathisch. Er lächelte schief, heftete dann aber seinen Blick wieder auf den Angeber. Einschreiten? Ihm den falschen Ausweis abnehmen? Er wischte den Gedanken vom Tisch. Dann könnte er den Laden ohnehin gleich wieder verlassen.
»Gibt’s was Neues«, fragte er die Kellnerin. Vielleicht klappte es ja.
»Es hört zu schneien auf«, sie lächelte wieder.
»Und sonst nichts? Kommen sie?«
»Wer?«
»Die Deutschen und die aus Wien?«
»Keine Ahnung. He, Dario!« Sie rief laut nach einem der Jungs vor dem Bierkrug. »Der will wissen, ob die Deutschen kommen!«
Die Typen unterbrachen ihr Gespräch und drehten sich zu ihm um. Laurenti erschrak. So viel Lärm wollte er nicht machen.
»Natürlich kommen sie«, rief besagter Dario. »Alle kommen!«
Die anderen lachten, und einer von ihnen reckte die rechte Hand zum römischen Gruß und schrie so laut er konnte, »Fascismo e libertà! Italia patria!«
»Italia patria!« fielen die anderen ein.
»Und wann?« traute sich Laurenti zu fragen.
»Morgen oder nächste Woche!« Sie brachen in grölendes Gelächter aus und schenkten ihm keine weitere Beachtung.
Er drehte sich wieder zum Tresen. Der Toast stand dampfend vor ihm, und der heiße Käse quoll an den Seiten heraus. Er biß kräftig hinein und schaute auf die Flaschenbatterie an der Wand. Wie viele Liköre es gab!
Als Laurenti bezahlen wollte, hörte er plötzlich eine Stimme, die ihn zusammenzucken ließ. Keinen Meter neben ihm stand sein Sohn Marco in Begleitung zweier Mädchen und bestellte Coca-Cola.
»Marco!«
Der Junge fuhr herum. »Papà? Was machst du denn hier?«
»Das sollte ich dich fragen!«
»Ich trinke eine Cola.«
»Willst du mir deine Freundinnen nicht vorstellen?«
Der Junge war verlegen.
»Carla«, er trat einen Schritt zurück. Sie war ungefähr in Marcos Alter, vielleicht erst sechzehn, spindeldürr, trug eckige, silberfarbene Stiefel mit Plateausohlen und hautenge Jeans. »Das ist mein Vater.«
Sie gab ihm die Hand. Das andere Mädchen, Luciana, errötete leicht, als sie Proteo grüßte. Sie war wesentlich hübscher als Carla, hochgeschossen, ihr Gesicht versprach interessant zu werden, und sie hatte eine sehr ansehnliche Figur.
»Deine Freundin?«
Marco errötete. Die Kellnerin löste seine Verlegenheit. »Marco, hier die Colas.«
»Bist du öfters hier«, fragte Proteo.
»Nein, weshalb?« Marco machte ein unschuldiges Gesicht.
Proteo Laurenti schaute auf seine Uhr. Er beschloß, es erst einmal dabei zu belassen »Wieviel macht das alles zusammen?« Er zeigte auf die Getränke der Jugendlichen. »Komm nicht so spät nach Hause!«
Die beiden Mädchen bedankten sich artig für die Einladung. Laurenti gab
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