Die Toten Vom Karst
Laurenti legte die Zeigefinger an die Nase. »Wir müssen herausbekommen, ob irgend jemand Manlio Gubian irgendwo regelmäßig gesehen hat, außerhalb seines Ladens und seines Hauses. Sorgt dafür, daß das morgen ebenfalls in der Presse steht. Samt Foto.«
»Dann brauchen wir mehr Leute, die am Telefon vorfiltern!« Marrone runzelte die Stirn. »Einige zusätzliche Telefonleitungen auch. Das kann heiter werden. Haben Sie die Beerdigung gesehen? Von den Anwesenden kam höchstens die Hälfte aus Contovello, alle anderen waren Schaulustige.«
»Wer war eigentlich bis zum Ende dort?« fragte Laurenti.
»Ich.« Es war wieder die Beano.
»Sie?« fragte Marrone gedehnt. Er wunderte sich, daß sich die Spurensicherung auf den Friedhof begab, wo es für sie ja nichts mehr zu tun gab.
»Ja, ich war neugierig und wollte wissen, mit wem ich es da zu tun hatte.«
»Und?« fragte Laurenti.
»Nichts Besonderes. Ich war bis zum Schluß dort. Es dauerte ewig, bis sie nach Hause gingen. Am Schluß blieben nur der Vater und der Pfarrer zurück. Gubian stieg dann in seinen …« Sie stockte kurz. »Verdammt, ja, er stieg in einen weißen Mitsubishi mit kroatischer Nummer. Ich bin mir ganz sicher.«
»Ein bißchen viel Zufall auf einmal, würde ich sagen.« Die knochige Hand Galvanos wirbelte unruhig in der Luft, als verscheuchte er Mücken.
»Ich weiß nicht recht«, mischte sich Tozzi ein. »Irgendwie ist alles zu einfach, denn auch ich habe eben noch Gubian gesehen. Ich kam deshalb zu spät, weil eine Frau auf der Straße eine Szene machte. Sie beschuldigte einen alten Mann als Mörder. Der Mann war Gubian. Er hatte einen Koffer dabei und sagte, er wolle zurückfahren nach Pola. Er wehrte sich kaum, aber die Situation war ihm, wie man sich unschwer vorstellen kann, äußerst unangenehm.«
»Und?« rief Laurenti. »Was haben Sie gemacht?«
»Naja … wir haben ihn laufen lassen. Die Frau war offensichtlich schwer gestört. Die Stadt ist voller Verrückter und jeder weiß doch, daß er seine Familie heute früh zu Grabe getragen hat. Der und ein Mörder?«
»Verflucht, Tozzi! Sagen Sie das noch einmal: Sie haben ihn einfach laufen lassen?« Laurenti raufte sich die Haare. »Wie kann man nur!«
Alle schauten ihn erstaunt an. Jeder von ihnen hätte Gubian laufen lassen. Was lag denn vor gegen den armen alten Mann, der seine ganze Familie verloren hatte?
»Wissen Sie eigentlich, wieviel Mitsubishis es gibt, Laurenti? An jeder zweiten Ecke steht doch einer. Außerdem war mir nicht bekannt, daß Sie überhaupt so ein Auto suchen.«
»Da sagt eine arme kleine Frau, daß ein Mann, den sie erkannt hat, ein Mörder sei, und Sie lassen ihn laufen und halten sie für verrückt!«
»Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt, Laurenti!« Tozzi wurde böse.
»Gubian kam sogar zu uns ins Büro und drohte, den Mörder vor uns zu finden und ihn zu erledigen. Der Mann war entschlossen. Was zum Teufel weiß Gubian, was wir nicht herausgefunden haben. Verdammt, da muß man doch handeln, Tozzi!«
Tozzi schwieg.
»Wenn er es wirklich war, dann ist das eine verdammt alte Geschichte, die er und der Mörder teilten«, sagte Sgubin. »Dann müssen wir in der Vergangenheit stochern.«
»Kehre zurück zu den Anfängen«, sagte der alte Galvano. »Als ich hier anfing, das war 1945, haben Sie mir die Toten aus den Löchern im Karst aufgehalst. Und heute, fünfundfünfzig Jahre später, wo ich die Arbeit an den Nagel hängen und mir endlich ein eigenes Loch schaufeln sollte, kommt die ganze alte Geschichte wieder hoch! Eigenartige Koinzidenzen, Laurenti! Wenn der alte Gubian was damit zu tun hat, dann mußt du in die Archive. Das kann dauern. Stell fest, wer er war zu jener Zeit. War er bei den Faschisten oder bei den Partisanen oder ein Parteifunktionär? Dann weißt du, wer seine Feinde waren. Und noch etwas«, er sprach langsam und leise, machte eine kurze Pause, drehte seinen Kugelschreiber in der Hand und schüttelte den Kopf. »Und dann kann es sich auch um eine späte Rache handeln.«
»Ich verstehe nicht, Doktor!«
»Kannst du auch nicht. Ihr Jungen wißt zu wenig, dabei ist es ganz einfach: Du bringst meine Familie um, ich bringe dafür deine um. Kapiert?«
»Nach so langer Zeit? Das glaub ich nicht, Doc!«
»Die Zeit spielt keine Rolle!«
»Aber wer ist dann dieser verfluchte Alte mit der Harpune in der Brust?«
»Find’s raus!« Galvano blieb trocken.
»Ach, Tozzi – hätten Sie Gubian nicht einfach laufen lassen, dann könnte er
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