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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Sie tatsächlich ins ›Nastro Azzurro‹ geführt? Seien Sie bei dem bloß auf der Hut! Aber ich wußte gar nicht, daß Sie auch miteinander zu tun haben.«
    Die Ravno trug das Haar noch immer als Zopf, aber für den alten Galvano hatte sie ein enges schwarzes Kleid angezogen, hochgeschlossen, aber nicht gerade lang, wie Laurenti aus dem Augenwinkel feststellte.
    »Wollt ihr euch nicht zu uns setzen?« fragte Galvano. »Sofern es Ihnen recht ist, Signora?« Die beiden Laurentis fragte er nicht.
    »So, und du bist schon wieder auf freiem Fuß?« Es hatte sich also schon herumgesprochen. Galvano bot Marco, der neben ihm saß, eine Menthol-Dunhill an. Marco griff zögernd zu.
    »Mein Sohn wurde heute verhaftet«, erklärte Proteo Laurenti seiner Tischnachbarin. »Sie müssen wissen, er hat es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht, überall da aufzutauchen, wo ich gerade zu tun habe, und mir das Leben schwer zu machen.«
    »Das ist gar nicht wahr«, protestierte Marco.
    »Es endete dann heute nachmittag damit, daß er eine Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt an der Backe hat. Die hätte ich ihm die letzten siebzehn Jahre täglich verpassen können, aber er zog es vor, sie von einem Kollegen zu bekommen.«
    »Das war ganz anders!«
    »Also erzähl schon, mach es aber kurz.«
    Während Marco berichtete, was vorgefallen war, bestellte Proteo ein Risotto mistomare für beide und suchte eine Ombrina aus, die, wie der Wirt sagte, besonders irisch sei. »Ja, vom Grill, bitte« bestätigte Laurenti. In diesem Moment hörte er das schallende Gelächter des Arztes und der Staatsanwältin und sah das feixende Gesicht seines Sohnes. Proteo hatte den Satz verpaßt, mit dem Marco verriet, wer die Glastür auf dem Gewissen hatte.
    »Und was sagt deine Mutter dazu«, fragte Živa Ravno.
    »Die ist zur Zeit nicht da«, sagte Marco.
    Der Kellner brachte Wein und Wasser und schenkte ein. Es war der richtige Moment, das Thema zu wechseln.
    »Was haben Sie mit dem nekrophilen Galvano zu tun?« fragte Proteo die Staatsanwältin.
    »Das gehört zu den Dingen, die nachzuholen sind«, sagte sie. »Nachkriegsgeschichte. Doktor Galvano hat eine Menge Erfahrung. Er wollte mir davon erzählen, wie das damals war, als er hier anfing. Vieles wird verständlicher, wenn man es von jemandem hört, der wenigstens Teile davon gesehen hat und dazu noch ein Außenstehender war.«
    »Sie meinen die Foibe?« Es konnte sich nur darum handeln.
    »Ja, auch, aber nicht nur unter dem italienischen Aspekt. Damals verschwanden auch unzählige Kroaten. Man weiß nicht, wie viele: ob hunderte oder tausende. Da ist es wie mit den Italienern. Die Gemeindebücher wurden systematisch vernichtet, und danach war schwer festzustellen, wer fehlte. Viele sind auch in den Westen geflüchtet oder wurden vorher von den Deutschen umgebracht. Seit Jahrzehnten liegen unbearbeitete Anzeigen vor, die bisher als unantastbar galten. Und jetzt ist es fast zu spät. Die Zeugen sind schon ziemlich alt.«
    »Galvano ist da sicher eine gute Quelle. Vor allem hat er selbst mit der Sache nichts am Hut, er war ja als junger Soldat aus Amerika gekommen.«
    »Nicht Soldat, Laurenti«, unterbrach ihn Galvano. »Ich war ein frischgebackener Arzt, und von denen gab es damals grundsätzlich zu wenig. Ich hatte in Boston studiert, Medizin, und wurde 1943 eingezogen, konnte allerdings das Studium in einem Eilverfahren noch abschließen. Ich kam am 12. Juni 45 mit den Truppen nach Triest. Am Rathaus hingen fünf Fahnen: Stars and Stripes, Union Jack, dann die Rote, die jugoslawische und die italienische, in deren weißen Streifen allerdings ein Roter Stern genäht war. Was heißt hier Triest: es hieß ›Territorio Libero Trieste‹, bis 1954 die Alliierten die Stadt wieder an Italien übergaben.
    Ich erinnere mich gut daran, wie wir ankamen: es war ein sonniger, warmer Dienstag und die Menschen standen zu hunderttausenden auf der Piazza Unità und an den Rive, um uns zu begrüßen. Die hatten ja Angst gehabt, daß Triest jugoslawisch würde, und um ein Haar wäre es auch passiert. An jenem Tag wurde auch die Vereinbarung der Amerikaner und Engländer mit den Jugoslawen bekannt gemacht. Die Tito-Truppen mußten sich zurückziehen, die provisorische Grenze entsprach etwa der heutigen. Außerdem mußten sie sich verpflichten, alle Menschen freizulassen, die auf dieser Seite der Grenze wohnten und die sie gefangen hielten oder deportiert hatten – außer jenen, die bis 1939 jugoslawische

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