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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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grenzüberschreitende Kooperation gegeben worden war.
    »Ich bitte um Verzeihung«, sagte er, nachdem er Platz genommen hatte. »Und ganz im Gegenteil, Questore. Es wurde heute morgen eher etwas früher. Aber es hat sich gelohnt. Hier!« Er warf das Päckchen auf den Tisch. »Das ist für’s Labor! Fingerabdrücke sind auch drauf, nicht nur meine!«
    »Waren Sie auf dem Fischmarkt, Laurenti?« Der Questore rümpfte die Nase.
    »Sie vermuten richtig, und wenn da wirklich das drin ist, wonach es aussieht, dann haben wir seit einer Stunde einen ziemlich dicken Fisch am Haken. Wenn nicht, dann vielleicht trotzdem, denn das Zeug hat Wirkung gezeigt. Vielleicht kommt endlich Schwung in die Sache mit Marasi.«
    Während Proteo Laurenti berichtete, rückten sowohl der Questore als auch der Kollege zu seiner Rechten ihre Stühle Stück für Stück zurück.
    »Und was ist, wenn es keine Drogen sind?« fragte einer der Kollegen.
    »Wir werden es sehen. Nicoletta Marasi war zumindest beeindruckt.«
    »Na, endlich geht es voran«, sagte der Questore schließlich in die Stille, die nach dem Bericht herrschte. »Das entschuldigt auch den Gestank, den Sie hier verbreiten. Was schlagen Sie vor?«
    »Gestank? Was für ein Gestank? Ich habe heiß geduscht, die Haare gewaschen, mich umgezogen! Sie hätten mich erst riechen sollen, als ich aus der Mülltonne kam! Entschuldigen Sie, Signori! Eilig ist vor allem der Laborbefund! Und der Kutter muß mit Hunden untersucht werden. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
     
    *
    Es konnte noch Wochen dauern, bis alle Triestiner sich für winterliche Kleidung entschieden. Als Proteo Laurenti mit einem euphorischen Grinsen auf die Straße trat und einen flüchtigen Blick aufs gegenüberliegende Amphitheater warf, fiel ihm auf, daß er selbst nur ein Jackett trug. Er mußte einer dicken, alten Dame im Pelz auf dem Gehweg ausweichen. Sie hatte sich ganz offensichtlich nach dem Kalender gerichtet und wahrscheinlich schon Mitte Oktober ihre nach Naphtalin riechende Wintergarderobe aus dem Schrank geholt. Alte Leute rochen zu Beginn der kalten Jahrezeit immer nach Mottenkugeln. Laurenti dagegen war meist zu leicht angezogen, er wollte einfach nie wahrhaben, daß es auch in Triest kälter wurde. Der leichte Scirocco gab Laurenti recht. Er faßte sich an die Stirn über diese befellte Gestalt, deren Kopf wie der einer Schildkröte aus dem Kragen ragte und mit jedem Schritt ein bißchen nach vorne wippte. Und auf dem Corso Italia kamen ihm Damen in einer Wintermode entgegen, die er abscheulich fand. Schon im letzten Jahr hatte sie sich wie die Pest ausgebreitet: schwarze, dick wattierte und gesteppte Popelinmäntel, knielang, die alle Frauen unweigerlich wie das Michelin-Männchen aussehen ließen – egal welches Körpergewicht sie auf die Waage brachten. Er dachte an Živa Ravno und den weichen, elegant taillierten, langen Kamelhaarmantel, aus dem er ihr erst gestern nachmittag geholfen hatte. Warum bloß hatte sie sich gestern abend nicht mehr bei ihm gemeldet? Er war lange wach geblieben und hatte erst nach ein Uhr eingesehen, daß das Telefon stumm blieb. »Das Glück des Narren: Erfolg bei der Arbeit, Pech in der Liebe«, sagte er zu sich selbst. »Dieses Jugoslawien wird sich schon noch melden. Und wenn nicht …« Proteo Laurenti bemerkte, daß ein Bauarbeiter, der neben ihm an der Ampel stand, ihn anstarrte, als hätte er einen Irren neben sich. Laurenti beschleunigte den Schritt, während sie die vierspurige Via Carducci überquerten. Er entschied sich, an der Bar »Bellavia« vorbei zu gehen, wenn er schon in dieser Ecke war. Vielleicht war von der Prügelei am Vorabend noch etwas zu sehen.
    Zwischen den kahlen Stämmen und Ästen der Platanen, die den Viale XX Settembre säumten, wurden Stahlrohrgestelle abgeladen und die ersten Häuschen für den Sankt Nikolaus-Markt aufgerichtet, der in einigen Tagen eröffnen sollte. Laurenti kämpfte sich den Weg durch das Heer von Hausfrauen, die ihm mit Einkaufstaschen bewaffnet entgegen kamen. Er verspürte Lust auf eine Zigarette und steuerte in die kleine Tabaccheria.
    »Eine Zehnerpackung Marlboro und ein rotes Feuerzeug«, sagte er zu der jungen Frau, die ihre Üppigkeit hinter den Unmengen an bunten Glückwunschkarten versteckte, die wie Girlanden von der Decke baumelten und den Laden einem Jahrmarktstand gleichen ließen.
    »Zehnerpäckchen habe ich leider nicht«, sagte sie und legte ein rosa Feuerzeug auf den Tresen.
    »Dann eine normale

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