Die Toten Vom Karst
er konnte, den Plastikbeutel in der rechten Hand, zu den Rive, raste zwischen dem fahrenden Verkehr hinüber zur Piazza Venezia und verlangsamte seinen Schritt erst, als er sich zweimal umgedreht und gesehen hatte, daß ihm niemand gefolgt war.
»Hast du den gesehen?«
»Wen?«
»Na, den. Jetzt stöbern schon die Manager im Müll. Trug einen grauen Anzug und gute Schuhe.«
»Die Welt wird immer verrückter! Ich glaube das heißt Globalisierung oder so ähnlich.«
»Das heißt anders. Los! Schieb schon, damit wir endlich fertig werden mit dieser Scheißarbeit. Ich will nach Hause, mich waschen. Meine Frau bekommt heute das dritte Kind.«
»Schon wieder?«
Laurenti bog schnellen Schrittes und außer Atem in die Via Diaz. Auf den dreihundert Metern zu seiner Wohnung zog er viel Aufmerksamkeit auf sich. Wer ihm auf dem Bürgersteig entgegenkam, machte einen Bogen und schaute ihm verwundert nach. Das triumphierende Grinsen in seinem Gesicht, der verdreckte stinkende Anzug, dem man immer noch ansah, daß er einmal teuer war, der gehetzte Gang und der infernalische Gestank, sowie der feine Blutfaden, der ihm seitlich über Stirn, Wange und Hals lief, all das ergab selbst für Triest ein ungewöhnliches Bild.
Der Aufzug stand im Parterre. Laurenti fuhr in den vierten Stock, schloß die Wohnungstür auf, warf den Beutel auf die Kommode im Flur und riß sich in der Küche den Anzug vom Leib, warf ihn auf den Boden und wollte ins Bad. Die Tür war abgesperrt.
»Bist du das, Papà?«
»Marco, mach auf, ich hab’s eilig. Ich muß duschen und in einer Viertelstunde in eine Sitzung beim Questore. Mach schon.«
»Zwei Minuten. Machst du mir einen Kaffee?«
»Verflucht, beeil dich!«
Laurenti ging in die Küche zurück und schüttete den Kaffesatz aus der Espresso-Maschine in das Spülbecken, füllte Wasser und Kaffee ein und setzte die Kanne auf die Gasflamme. Dann hörte er die Tür zum Badezimmer und begegnete Marco auf dem Flur.
»Mein Gott, was ist passiert?«
»Nichts, weshalb?«
»Wie siehst denn du aus? Du blutest ja! Poooah, und du stinkst wie ein toter Fisch!«
»Blut?« Laurenti ging ins Bad und schaute in den Spiegel. Er suchte mit seinen Fischfingern zwischen den Haaren und fand eine kleine Kratzwunde auf der Kopfhaut. Dann stellte er sich unter die Dusche und wusch sich mit viel Seife und Shampoo unter dem knallheißen Wasser. Immer wenn er die Wunde am Kopf berührte, zuckte er zusammen.
Um fünf vor acht nahm er neue Kleidung aus dem Schrank und zog sich hastig an. Es stank infernalisch im Flur nach einer Mischung aus angebranntem Kaffee und Fisch. Marco stand in der Küche, hatte alle Fenster aufgerissen und hielt soeben die glühende Espressokanne unters kalte Wasser. Es zischte und dampfte.
»Die ist hin. Du hast sie auf der Flamme vergessen!«
»Ich? Warum hast du dich nicht darum gekümmert? Wann beginnt die Schule?«
»Gleich. Was ist denn passiert?«
»Erzähl ich dir später. Ich muß los. Würdest du bitte meinen Anzug in die Reinigung bringen? Und heute abend räumen wir auf.« Er stopfte den Anzug in eine Plastiktüte.
»Später, ja.«
»Also, bis heute abend.«
»Ich wollte dich fragen, ob du was dagegen hast, wenn ich über Nacht in Udine bleibe. Da ist eine Party von Freunden.«
»Verflucht, Marco! Habe ich nicht gerade gesagt, daß wir heute abend zusammen aufräumen? Hör mir gefälligst zu.«
»Das können wir doch auch morgen machen, oder am Sonntag. Es ist wirklich wichtig!«
»Also gut«, Proteo Laurenti hatte keine Zeit mehr, seinem Sohn zu widersprechen. »Wann bist du zurück?«
»Spätestens am Sonntag.«
»Und ist deine Luciana auch dabei?«
Marco errötete. »Warum?«
»Paß auf und mach keine Dummheiten! Versprich es mir!«
Wieder einmal kam Proteo Laurenti mit einiger Verspätung zur Freitagssitzung beim Questore und erntete Stirnrunzeln aus der ganzen Runde. Niemand begriff, was es mit dem Plastikbeutel auf sich hatte, den er lächelnd hochhielt. Er hatte ihn zu Hause noch rasch in einen Gefrierbeutel gesteckt und diesen sorgfältig verschlossen.
»Es ging wohl etwas länger gestern, Laurenti?« stellte der Questore mit mokantem Lächeln fest. »Aber es ist nett, daß Sie überhaupt noch kommen.«
»Schön wär’s!« Proteo fragte sich, was er wohl meinte, und zog seinen Stuhl vom Tisch. Der Polizeipräsident war gestern abend doch ganz bestimmt einer der Gäste des Diners beim obersten Staatsanwalt gewesen, das für Živa Ravno und die
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