Die Toten Vom Karst
auch?«
»Wenn ihr redet, seid ihr mit dran. Außerdem könnt ihr nichts beweisen. Ihr seid lästig.« Sie versuchte sich dem Griff, der sich nicht gelockert hatte, zu entwinden. Lucas Daumen drückte ihr schmerzhaft ins linke Schultergelenk.
»Und was ist das?« fragte Mario. Er zog einen kleinen Plastikbeutel mit einer festen weißen Masse aus der Jackentasche und hielt ihn ihr vor die Nase. »Wir wissen, daß das Zeug aus Albanien kommt und über Gubian und uns nach Triest.«
Nicoletta blitzte sie wütend an. »Woher hast du das?«
»Woher wohl? Es ist unsere Versicherung!«
Luca ließ sie los. Nicoletta glitt langsam auf den Fahrersitz.
»Es bleibt bei Montag. Fünfzehn Uhr. Geht hinten durch. Ich bin im Büro«, sagte sie und drehte den Zündschlüssel.
Die beiden Alten sahen zu, wie sie den kleinen Fiat im ersten Gang hochtourig über den Parkplatz jagte und dann, begleitet vom Hupen der Wagen, die wegen ihr abrupt bremsen und ausweichen mußten, in die Rive einbog. Proteo Laurenti duckte sich hinter die Abfallbehälter, aus denen fauliger Gestank drang. Er hatte die ganze Zeit hinter dem Container gestanden und sie beobachtet. Mit einem Taschentuch vor Mund und Nase dachte er unweigerlich an Galvano. Der durfte täglich solche Gerüche einatmen. Aber Laurenti war belohnt worden für diese Qual. Er hatte genug gehört, um das Wesentliche dieser Auseinandersetzung zu verstehen, auch wenn der Verkehrslärm immer wieder einige Satzfetzen verschluckte. Als Nicoletta nicht mehr zu sehen war, sah Laurenti wie Mario den Beutel wieder aus der Jackentasche zog und in die Mülltonne warf. Einer der beiden meinte, sie hätten jetzt einen Kaffee verdient. Ihre Stimmen entfernten sich, und Laurenti konnte sich endlich wieder aufrichten. Was er jetzt sah, gefiel ihm aber gar nicht. Drei Männer, die den Fischmarkt putzten, trugen Fischabfälle und leere Kisten herbei und warfen sie dem Beutel hinterher.
Laurenti geriet in Panik. Er mußte an den Beutel kommen. Verschiedene Möglichkeiten schossen ihm durch den Kopf. Seinen Ausweis zu zücken und sich offiziell Zugang zu verschaffen, konnte er vergessen. Jeder, der hier zu tun hatte, würde dann spätestens am Nachmittag wissen, daß die Polizei angeblich nach ermordeten Fischen gesucht hatte, und die anderen wären gewarnt. Er könnte zwei Paletten vor den Container schieben und mit aufgekrempelten Ärmeln und angehaltenem Atem in dem Fischmodder wühlen. Aber das würden die Fischer sehen und sie würden ihn ziemlich sicher zur Rede stellen. Hätte er seinen Wagen dabei, dann könnte er das Ding von der anderen Seite im Rückwärtsgang rammen, damit es umkippte. Das wäre vielleicht die unverdächtigste Methode. Sie würden ihn nicht lynchen, gewiß aber zwingen, den Dreck eigenhändig wieder hineinzuschaufeln. Aber sein Wagen stand seit gestern noch immer auf dem Parkplatz der Guardia Costiera. Es blieb ihm nichts übrig, als sich sofort an die Arbeit zu machen.
Fünf dieser Dinger standen nebeneinander. Sie waren schwer, aber mit etwas Glück könnte er es schaffen. Langsam zog er den Container aus der Reihe der anderen und schob ihn rasch auf die Rückseite der Pescheria und aus dem Blickfeld der Fischer. Er stieß den Deckel auf, stützte sich an der Luke ab, hielt den Atem an und sprang hinein. Sofort spürte er ein kaum bezwingbares Würgen in Hals und Magengrube. Wenn er doch wenigsten die Augen schließen könnte! Aber er mußte suchen! Mit bloßen Händen wühlte er zwischen Fischblasen, Köpfen und Gedärm herum. Es war grauenhaft und über die Maßen ekelhaft. Gut daß ihn keiner sah, um seinen grauen Anzug war es ohnehin geschehen, er mußte es zu Ende bringen. Und schließlich hatte er Erfolg. Endlich hielt er den Beutel in Händen – und spürte einen Ruck am Container. Der Deckel fiel zu. Er stand gebückt im Dunkeln, und als er sich aufrichtete, stieß er sich den Kopf, daß er Sterne sah. Der Container bewegte sich, er hörte zwei Männerstimmen.
»Wer weiß, wie das Ding hierhergekommen ist? Porcamiseria maledetta!«
»Puttanadimerda, verflucht schwer«, maulte der zweite.
»Los, schieb schon, oder willst du den ganzen Morgen damit verbringen, dich an die Mülltonne zu lehnen.«
Laurenti öffnete vorsichtig den Deckel einen Spalt weit und sah die beiden sich mit ausgestreckten Armen gegen den Container stemmen. Sie setzten sich in Bewegung. Das war seine Chance. Er drückte den Deckel ganz zurück und sprang. Und dann rannte er so schnell
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