Die Toten Vom Karst
sehen. Und schließlich brauche ich noch die Unterlagen für das Ordnungsamt, damit wir die ›Bellavia‹ dicht machen können. Außerdem ist heute noch die Trauerfeier für diesen Giuliano, den Fischer. Ich gehe hin. Los jetzt, Leute!«
»Proteo«, sagte Marietta, als Sgubin aus dem Zimmer war, »verzeih, aber du stinkst wirklich ganz entsetzlich nach Fisch! Hast du dich nicht umgezogen?«
»Natürlich hab ich das! Was glaubst denn du!« Empört richtete er sich im Stuhl auf. »Das muß von was anderem kommen.« Er roch an seinen Händen und hielt sie ihr vor die Nase. »Hier riech!«
»Und die Schuhe?« fragte Marietta. »Hast du die gewechselt?«
»Was weiß denn ich! Gib hier nicht die fürsorgliche Mutter. Wir haben zu tun und keine Zeit für Gespräche über Körperpflege.«
*
Bruna Saglietti war schon am Donnerstag morgen aus dem Ospedale Maggiore entlassen worden. Sie hatte auf dem kurzen Rückweg für sich und die Katzen ein paar Dosen Thunfisch und Brot eingekauft. Die ganze Nacht über war sie wachgeblieben in ihrem Bett im Sechserzimmer, hatte die Atemgeräusche und das leise Schnarchen der anderen Patientinnen gehört und immer wieder an Ugo Marasi gedacht und daran, daß die Katzen am Abend nichts zu fressen bekamen. Aber sie war zu matt, um aufzustehen. Das Beruhigungsmittel gab ihr keinen Schlaf, sondern fesselte sie lediglich an das Bett, zuviel ging ihr durch den Kopf. Sie fühlte sich eigentümlich leicht. Bilder aus der Vergangenheit gingen ihr durch den Kopf, von der Zeit, als alles noch gut war. Bruna erinnerte sich an den Sonntagsspaziergang, den sie zusammen mit der kleinen Nicoletta auf den Colle di San Giusto gemacht hatten. Ugo trug die Zweijährige auf dem Arm, und sie schob den leeren Kinderwagen über das grobe und holprige Pflaster die Via della Cattedrale hinauf. Es war ein sonniger Tag im Mai 1968 und ein leichter Frühsommersommerwind ließ die jungen Blätter der Kastanien rascheln. Auf der Piazza vor der Cattedrale di San Giusto standen Busse mit österreichischen Touristen, die das Forum Romanum und das Kastell besichtigten und sich vor dem Imbißstand mit Erfrischungen drängelten. Auch Ugo hatte nach dem Aufstieg Durst und holte ein Bier und für Bruna ein Eis. Und dann passierte es. Bruna sah es von der anderen Straßenseite, wo sie mit der Kleinen auf ihn wartete. Sie standen sich plötzlich gegenüber: zwei gleichaltrige, große, bullige Männer. Ugo erkannte Gubian sofort und bewegte sich keinen Schritt von der Stelle, in der linken Hand das Eis, in der rechten das Bier, die Arme leicht angewinkelt. Die Hände ballten sich zu Fäusten, so daß er, ohne es zu bemerken, das Eis zwischen den Fingern zerquetschte. Erst da begriff Gubian, wen er vor sich hatte, und wandte sich ab. »Du wirst noch dafür bezahlen, du dreckiger Kommunist«, zischte Ugo, und Bruna sah, wie Gubian noch einmal den Kopf drehte und ihn anstarrte. Dann ging er eilig davon.
»Was war los, Ugo?« fragte Bruna erschrocken, als er endlich zu ihnen kam und das zerquetschte Eis ärgerlich auf die Straße warf. Sie hatte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche gezogen und wollte ihm die Hand sauber machen.
»Laß das!« Ugo goß sich das Bier über die Hand und wischte sie an der Hose ab. Die Flasche stellte er, ohne getrunken zu haben, an den Straßenrand. »Das war Gubian. Ich krieg ihn. Wir gehen nach Hause.«
Schweigend ging er mit einem Abstand von drei Metern vor ihr und Nicoletta her und überhörte ihre besorgten Fragen. Sie hatte Mühe, ihm zu folgen, und erst als sie an den Treppen ankamen, die hinab zur Arena führten, blieb er stehen und nahm ihr wortlos die Kleine ab, die auf einmal ganz still war, als spürte auch sie, daß sich etwas verändert hatte. Dann ging er wieder schweigend voraus und sprach erst mit ihr, als sie zu Bett gegangen waren und bereits das Licht gelöscht hatten. Da auf einmal brach es wie ein Wasserfall aus ihm heraus. Er erzählte, daß die Tito-Partisanen für kurze Zeit die Herrschaft in Istrien übernahmen, nachdem das italienische faschistische System im September 1943 zusammenbrach und bevor die Deutschen ein paar Wochen später »aufräumten«, wie er sagte. Zuerst wurden die faschistischen Funktionäre festgenommen und in Schul- oder Rathäusern vor die Volksgerichte der Partisanen gestellt, wo sie schnell abgeurteilt, weggebracht und nie wieder gesehen wurden. Kurze Zeit später kamen sie auch in andere Häuser. Oft waren sie nur zu zweit, und meistens waren
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