Die Toten Vom Karst
er sehr leiden?«
»Nein. Er war gleich tot«, log Nicoletta.
»Er hat es nicht verdient. Im Grunde war er ein guter Mensch. Er konnte nicht anders.«
»Was, Mamma, konnte er nicht anders? Was redest du da?«
»Alles.« Dann schwieg Bruna Saglietti lange, und erst als ihre Tochter die Kaffeetassen und das Rotweinglas abspülte, räusperte sie sich.
»Laß mir die Schlüssel hier, Nicoletta. Irgend jemand muß sich ja um die Wohnung kümmern.«
Nicoletta zögerte.
»Du mußt schließlich arbeiten! Ich bin krank geschrieben.«
»Aber laß niemand herein, Mamma. Hörst du: Niemand!«
»Ich wüßte gar nicht wen!«
*
Bevor Proteo Laurenti dazu kam, den Hörer abzunehmen und Tozzis Nummer zu wählen, klingelte das Telefon. Die Nummer im Display kam ihm bekannt vor, doch konnte er sie nicht zuordnen. Er erstarrte, als er ihre Stimme hörte.
»Ich hoffe, ich störe dich nicht, Proteo, aber ich habe mir Sorgen gemacht, wie die Sache mit Marcos Verhaftung weitergegangen ist. Und außerdem wollte ich hören, wie es euch geht.«
»Wir kommen zurecht«, antwortete er knapp, bevor ihm etwas Besseres einfiel. Er war von ihrem Anruf überrascht. »Wo bist du?«
»Wo wohl? In San Daniele.« Sie rief vom Telefon ihrer Mutter an.
»Bist du allein?«
»Nein.«
Er spürte einen Stich im Herz. »Ist er bei dir?«
»Wer?«
»Pietro natürlich!«
»Nein, meine Mutter ist hier.«
»Wenigstens das.«
Laura war es, die das kurze Schweigen brach. »Was ist mit Marco?«
»Was soll schon mit ihm sein?« Er spürte, wie er wütend wurde. Warum rief sie jetzt an? Seit Sonntag hatte sie ihn alleine gelassen. Wegen eines Versicherungsvertreters! Wenn es doch wenigstens ein Schreiner, ein Klempner oder der Briefträger wäre. Versicherer waren für ihn ein rotes Tuch und wie Immobilienmakler der Inbegriff von Blendern und Nichtsnutzen. Er faßte es als persönliche Beleidigung auf, daß Laura sich ausgerechnet mit einem von diesen Idioten eingelassen hatte.
»Kannst du nicht verstehen, daß ich mir Sorgen um meinen Sohn mache?«
»Die hättest du dir früher machen können, bevor du mit einem solchen Arschloch durchbrennst!«
»Proteo! Ich habe dir gesagt, daß ich wegfahren wollte, um mir Klarheit zu verschaffen. Auch für uns, für dich! Nicht um dich zu betrügen! Du redest mit mir wie mit einer billigen Hure! Ist dir das klar?«
Laurenti versuchte seine Wut in den Griff zu bekommen. »Deinem Sohn geht’s gut. Er ist übers Wochenende bei Freunden in Udine. Ich hätte mich ohnehin nicht um ihn kümmern können. Mir steht die Arbeit bis zum Hals.«
»Hast du deshalb wieder zu rauchen begonnen?«
»Wie bitte?«
»Während des Fernsehinterviews hast du geraucht, und die Asche ist dir auf den Ärmel gefallen.«
»Ich rauche nicht. Aber es ist nett, daß du dich darum sorgst.«
»Wie sieht es zu Hause aus?«
»Es geht so. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal richtig gegessen habe. Marco treibt sich mit Freunden rum. Die Kaffeemaschine ist seit heute morgen kaputt. Ich hoffe, daß ich zwischendurch dazu komme, eine neue zu kaufen.«
»Was machst du abends?«
»Und du? Weshalb fragst du?«
»Nur so. Weil ich wissen will, wie es dir geht.«
»Und wie geht es dir?«
»Es geht so. Ich gehe früh schlafen.«
»Pietros Briefkasten wurde nicht geleert. Wo ist er?«
»Er ist für ein paar Tage nach Istrien gefahren. Sag mal, spionierst du ihm nach?«
»Nicht die Spur. Es fiel jemand auf, der es gemeldet hat.«
»Proteo, was ist das für eine Frau, mit der man dich gesehen hat?«
»Frau? Was für eine Frau? Von wem sprichst du?«
»Eine auffallend schöne, sehr elegante Frau Anfang Dreißig mit einem dicken Zopf und extrem enganliegenden Klamotten …«
Dazu hatte man also Freundinnen, dachte er. Deshalb also hatten ihn seine Töchter so besorgt gefragt. Mit Rossana di Matteo würde er gesondert abrechnen. Daß auch sie ihn verraten hatte, regte ihn besonders auf.
»Eine Kollegin«, antwortete er. »Sie ist eine Staatsanwältin aus Kroatien. Sie soll Brücken bauen zwischen den Behörden.«
»Das scheint ihr ja bestens zu gelingen, nach allem was ich höre.«
»Laura, hör auf damit! Du bist weggegangen! Du hast mich den Sommer über links liegenlassen und warst kaum ansprechbar. Nicht ich! Du hast mich betrogen, nicht umgekehrt! Und jetzt das.«
»Was heißt hier betrogen? Ich habe dich nicht betrogen …«
»Es reicht! Was glaubst du eigentlich, wer du …«
Proteo Laurenti warf den Hörer auf die Gabel,
Weitere Kostenlose Bücher