Die Toten von Bansin
versuchen müssen. Sie bekommt diese Vorstellung nicht aus dem Kopf, der tote Radfahrer, der im strömenden Regen ganz allein auf der LandstraÃe liegt. Er soll die ganze Nacht dort gelegen haben. Erst am Morgen, als der erste Dorfbewohner zur Arbeit fuhr, wurde er gefunden.
»Er war noch vor ein paar Tagen hier«, fährt Plötz düster fort und starrt vor sich hin. »Was haben wir wieder gelacht über sein Spijöök. Wie der die Gäste nachmachen konnte, der brachte jeden zum Lachen. So war der schon als Steppke. Sein Vater war ja auch Fischer«, erklärt er Steffi, die bedrückt an der Seite sitzt und aus Mitleid mit ihren Freunden selbst mit den Tränen kämpft, obwohl sie den jungen Mann gar nicht kannte.
»War ein hübsches kleines Kerlchen mit seinen blonden Locken und den blauen Augen und immer hat er gelacht. Seine Eltern waren ja nicht mehr so jung, er war ein Nachkömmling, die konnten gar nicht auf ihn aufpassen, so wild, wie der war. Und immer im Wasser, bei jedem Wetter!
Wir haben uns alle um ihn gekümmert, in jeder Bude war er zu Hause. Er war ja auch immer hier am Strand, auch noch, als sein Vater nicht mehr gefischt hat und seine Eltern dann kurz hintereinander gestorben sind. Da ging er noch zur Schule. Seine Schwester hatte wohl Sorgerecht für ihn, sie ist ja viel älter. Aber er war immer hier bei uns, manchmal hat er hier sogar seine Schularbeiten gemacht und jedes Zeugnis hat er zuerst uns gezeigt. Arno â«, er sieht zu dem hageren Mann in der Ecke hinüber, schluckt und bricht ab.
Berta erinnert sich, dass Sören jahrelang ständig mit Arno zusammen war. Wie ein Schatten hat er den Ãlteren verfolgt. Der junge Fischer war sehr stolz auf seinen Schützling, als Sören Abitur gemacht und dann Sport und Geschichte studiert hat. Warum ist er eigentlich nicht Lehrer geworden, wie er es geplant hatte? Nachdenklich sieht sie zu Arno, aber sie mag jetzt nicht danach fragen. Vielleicht später einmal.
»Was wollte die Polizei eigentlich hier?«, fragt sie stattdessen Paul Plötz.
»Wissen, ob ich etwas gesehen hab. Ich fahr doch auch immer da lang, von zu Hause zum Strand. Meistens wohl sogar als Erster aus dem Dorf. Gott sei Dank hab ich ihn nicht gefunden. AuÃerdem weià Fred ja, dass wir Sören gut kannten. Sie haben gefragt, ob er vielleicht Feinde hatte. Es könnte ja auch Absicht gewesen sein. So ein Quatsch!«
Plötzlich fällt Berta der Tote am Bahnübergang ein. Sören ist schon das zweite Verkehrsopfer innerhalb von vier Wochen. Im Stillen nimmt sie sich vor, Fred zu fragen, ob auch wegen Gerd Töpfers Tod noch ermittelt wird. Etwas mühsam steht sie auf und nickt Steffi zu, die die ganze Zeit stumm dagesessen hat. »Wir gehen dann mal«, sagt sie leise zu Plötz und legt ihm im Vorbeigehen tröstend die Hand auf die Schulter. »Kommt doch heute Abend zum Stammtisch«, schlägt sie vor und sieht Arno traurig an. »Ist nicht gut, so allein zu sein.«
Auf dem Heimweg mischt sich in Bertas Trauer eine leise Angst. Etwas Kaltes, Fremdes ist in ihre heile Welt eingedrungen. Aber dann hört sie das Lachen von Kindern, die mit einem Hund am Strand herumtollen, winkt einem Einheimischen zu, der mit dem Fahrrad vorbeifährt und freundlich grüÃt, und schüttelt dann über sich selbst den Kopf. Warum sollte denn zwischen Sören und Töpfer ein Zusammenhang bestehen?
Im Kehr wieder herrscht niedergeschlagene Stimmung, obwohl Sören Mager hier nicht zu den Stammgästen zählte. Jenny Sonnenberg, die in die Gaststätte gekommen ist, um Näheres über den Unfall zu hören, schüttelt fassungslos den Kopf. »Ich kann es gar nicht glauben. Er war doch so â jung, so vital, voller Leben, er hatte alles noch vor sich. Ich habe gestern noch mit ihm gesprochen. Er hatte so viele Pläne, so viele Ideen.«
Einen Moment lang ist Sophie erstaunt über diese heftige Anteilnahme. Dann fällt ihr ein, dass Sören auch mit Jenny zusammengearbeitet hat. Neben seiner Arbeit als Surflehrer hat er für sie auf Zuruf geführte Radtouren mit Gästen unternommen.
Anne nippt nachdenklich an ihrem Glas. Wusste Jenny eigentlich, dass Sören nicht mehr für sie arbeiten wollte? Mehrfach hatte er erzählt, dass er sich ausgebeutet fühle, inzwischen genügend eigene Kontakte habe und keine Agentur mehr brauche, um Aufträge zu bekommen.
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