Die Toten von Bansin
Gäste sind jetzt alle bei Brinkmann untergebracht«, erklärt Sophie, als sie am Stammtisch sitzen. »Der hat sich sicher gefreut und tat noch so, als ob er mir einen Gefallen damit tut.«
»Macht er ja auch«, wirft Berta trocken ein.
»Ja, schon, aber der kann doch froh sein, dass er die Buchungen übernimmt. Muss ja ganz schön viel frei haben. Er hat sich sogar auf meine Preise eingelassen. Verstehst du? Die Ãbernachtung bei ihm ist teurer als bei uns, aber die Gäste haben einen Vertrag mit mir. Schlimmstenfalls hätte ich die Differenz bezahlen müssen. Na, ich hab ihm dann gesagt, ab Mitte der Woche ist mein Haus leer, dann können die Gäste ja zu mir kommen. Das wollte er natürlich nicht und so haben wir uns geeinigt, dass sie die ganze Woche bei ihm bleiben, aber eben zu dem Preis, den sie bei mir gezahlt hätten.«
Berta nickt. »Schon klar. Dann hast du doch auch keinen Schaden.«
»Natürlich hab ich Schaden. Das Haus steht die halbe Woche leer, obwohl Ferien sind, jetzt bekomme ich doch keine Gäste mehr für die restliche Zeit. Und mein Ruf leidet, die Leute halten mich für unzuverlässig. Nun fehlt bloÃ, dass bei Brinkmann wieder etwas schiefläuft.«
Sonntag, 28. Oktober
»Mit euch beiden lerne ich Usedom erst einmal richtig kennen«, sagt Berta zufrieden. Sie steht auf der Mole in Kamminke und blickt auf das Oderhaff. »Schön ist es hier.«
Sophie nickt. Ihre Gäste sind heute Morgen abgereist, zum ersten Mal seit Saisonbeginn ist das Haus leer. Nach dem ganzen Stress und dem Ãrger über die Fehlbuchungen gönnt sie sich heute einen freien Tag. Falls Mittagsgäste kommen, werden Renate und die Kellnerin sie allein versorgen. »Ja, so schön ruhig.«
Anne ist schon an die kleine Bude getreten und begutachtet den Räucherfisch. »Der Lachs sieht gut aus«, lobt sie. »Haben Sie auch Kartoffelsalat?«
Ihre Freundin mault. »Eigentlich wollte ich heute mal etwas anderes essen als Fisch.«
Berta stöÃt sie aufmunternd an. »Ach, nun komm. Der Fisch hier ist wirklich gut, der kommt ganz frisch aus dem Ofen. Nächste Woche, wenn Renate Urlaub hat, koch ich dir was Schönes.«
»Nichts gegen Renate«, verteidigt Sophie ihre Köchin. »Aber gut, wenn du nächste Woche deinen Schweinebraten mit Honig machst â«
»Oder selbstgemachte Kohlrouladen«, schlägt Anne vor.
»Mach ich alles«, verspricht Berta. »Wir haben ja genug Zeit über den Winter.«
Wenig später sitzen die drei an einem rustikalen Holztisch dicht am Ufer und genieÃen ihr Essen.
»Das muss ewig her sein, seit ich das letzte Mal hier war«, sinniert Berta. »Auf dem Golm, ja, da war ich mal vor ein paar Jahren, als sie die Kriegsgräberstätte neu gestaltet haben. Wirklich beeindruckend.«
»Ich fahre hier öfter her, mit den Reisegruppen.« Anne wischt sich die Lippen ab, lehnt sich zurück und stöhnt zufrieden. »Das war gut.«
»Kannst du mit den alten Leuten da überhaupt hochgehen?«, wundert sich Sophie. »Ist ja nicht gerade ein Gebirge, aber immerhin die höchste Erhebung auf der Insel.«
»Die meisten gehen nicht bis nach ganz oben mit. Die sehen sich das Mahnmal an und die Gedenktafeln und warten dann auf uns oder gehen zurück zum Bus. Aber der Ausblick von da oben lohnt den Aufstieg. Man hat eine tolle Sicht auf Swinemünde, den Hafen und bis nach Wollin.«
Die Frauen schlendern am Ufer entlang. Ein paar Fischerboote sind am Kai festgebunden und schaukeln behäbig auf den kleinen Wellen. Ein Schwarm Möwen stürzt sich kreischend auf das Wasser.
»Das da ist schon Polen.« Anne weist auf einen etwa hundert Meter entfernten Schilfgürtel. »Der Golm gehörte eigentlich auch zum Stadtgebiet von Swinemünde. Nur auf Grund seiner Bedeutung als deutsche Kriegsgräberstätte hat man die Grenze direkt am Fuà des Berges entlanggezogen.«
Sie gehen zu Sophies Auto und fahren langsam durch das Dorf zurück.
Anne zeigt nach rechts in die Wiesen. »Das da, der Torfgraben, ist die Grenze. Die Laubenkolonie gehört schon zu Swinemünde.«
Als sie am Parkplatz der Gedenkstätte vorbeikommen, bremst Sophie ab. »Na, was ist? Habt ihr Lust auf einen kleinen Verdauungsspaziergang? Der Hügel ist nur 69 Meter hoch, hast du gesagt, Anne. Das werden wir doch wohl schaffen.«
Aber
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