Die Toten von Bansin
und spricht nur nach sorgfältiger Ãberlegung. Umso peinlicher ist es ihm, wenn seine Frau betrunken ist und sich völlig daneben benimmt. Christine Jahn ist eigentlich attraktiv und kultiviert. Sie wirkt gepflegt, ist meist gut gekleidet, trägt die dunkelblonden Haare sorgfältig frisiert und benimmt sich höflich und zurückhaltend. Allerdings nur, solange sie nüchtern ist, und in letzter Zeit kann sie immer seltener verbergen, dass sie ein Alkoholproblem hat.
»Die Jahn kann ich nicht leiden«, erklärt Stefft bestimmt, »die hat so ein falsches Lachen. Auf mich wirkt die unehrlich.«
»Ich glaub, sie ist nur unsicher«, entgegnet Sophie. »Obwohl ihr eigentlich klar sein müsste, dass wir es alle wissen, versucht sie immer zu vertuschen, dass sie Alkoholiker ist. Vielleicht meinst du das mit âºunehrlichâ¹, aber sonst â mir tut sie eigentlich leid.«
»Na gut«, Steffi dämpft ihre Stimme und beugt sich vor, als könne jemand Unbefugtes zuhören, »ich wollte ja eigentlich nicht darüber reden.« Jetzt hat sie die volle Aufmerksamkeit, auch die Köchin, die gerade an ihre Arbeit gehen wollte, setzt sich wieder.
»Als ich letzte Woche im Drogeriemarkt war, wurde Christine Jahn beim Klauen erwischt.«
Steffi setzt sich gerade hin und legt eine rhetorische Pause ein, bevor sie ihre Erzählung fortsetzt. »Sie hat ihren Einkaufsbeutel lose in den Wagen gelegt und darunter eine teure Creme versteckt. Die Verkäuferin hat es aber wohl bemerkt. Die Jahn tat dann so, als sei es ein Versehen gewesen, aber das hat ihr keiner geglaubt. Es hörte sich auch so an, als wäre das nicht zum ersten Mal passiert.«
Sophie schüttelt den Kopf. »Ich kann das gar nicht glauben, das passt irgendwie nicht zu ihr.«
Auch Berta zweifelt. »Könnte es nicht wirklich ein Versehen gewesen sein? Schusslig ist sie ja, aber Diebstahl â das traue ich ihr einfach nicht zu. So wie sie immer auf ihren guten Ruf bedacht ist, ich glaube, beim Ladendiebstahl erwischt zu werden, ist so ziemlich das Schlimmste, was ihr passieren kann.«
Obwohl Berta Christine Jahn eigentlich selbst nicht besonders mag, hat sie das Bedürfnis, die Frau zu verteidigen. Vielleicht, weil sie auÃer Sophie keine nahen Angehörigen hat, betrachtet sie die Stammgäste quasi als Familie. Es erscheint ihr völlig selbstverständlich, sich in deren privateste Angelegenheiten einzumischen und sie, wenn es nötig ist, gegen Fremde in Schutz zu nehmen.
Die junge Kellnerin widerspricht zögernd. »Es stimmt aber. Meine Freundin arbeitet doch in der Modeboutique an der Strandpromenade. Da hatte Frau Jahn einen teuren Pullover in der Tasche und wusste angeblich gar nicht, wie der da reingekommen ist. Weil sie dann so aufgeregt war und geheult hat, haben sie es ihr sogar geglaubt, dass es ein Versehen war. Sie war ja auch nicht ganz nüchtern. Sie hatte auch genug Geld dabei und hat sogar noch was Teures gekauft. Aus Mitleid haben die Verkäuferinnen dann versprochen, dass sie nicht darüber reden.« Als Sophie grinst, fährt sie schnell fort. »Ich hätte es ja auch nicht erzählt, aber wenn das nun öfter vorkommt â¦Â«
Berta schüttelt nachdenklich den Kopf. »Allmählich zweifle ich an meiner Menschenkenntnis. Da sieht man mal wieder, was der Alkohol so anrichtet. Trotzdem, ich gehe jetzt zu Plötz in die Bude. Kommst du mit, Steffi?«
Mittwoch, 17. Oktober
Sören Mager beugt sich tief über seinen Fahrradlenker, als er kurz nach 22 Uhr bei strömendem Regen nach Hause fährt. Wie an jedem Mittwoch war er in Bansin im Fitnessstudio. Dabei hatte er heute Abend zu Hause bleiben wollen, das Wetter ist wirklich schlecht und ein Auto besitzt er nicht. Aber dann hat es wieder Streit mit Carlos gegeben und er musste sich ablenken. Sören nimmt sich vor, etwas netter zu seinem Freund zu sein. Der hat es schlieÃlich auch nicht leicht. AuÃer ihm kennt er hier kaum jemanden, er findet durch seine schwermütige Art eben nur schwer Anschluss. Im Sommer ging es noch, da konnte er in der Natur malen, aber nun ist er nur im Haus und bekommt wohl allmählich Depressionen. Das könnte sein zeitweise wirklich unerträgliches Verhalten erklären.
Vielleicht wird es doch Zeit, dass sie hier wegkommen, denkt Sören und ist doch im gleichen Atemzug erleichtert, dass er die endgültige Entscheidung darüber
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