Die Toten von Bansin
noch ein paar Wochen hinausschieben kann. In vier Wochen wollen sie in Tirol sein, dort hat er wie jedes Jahr einen Vertrag als Skilehrer und Carlos arbeitet in einem Hotel, in dem hauptsächlich spanische Gäste sind.
Und im nächsten Sommer wollen sie endlich die Surfschule in Spanien eröffnen. Während er durch den eisigen Regen strampelt, grübelt Sören, ob dies möglich sein könnte, ohne sein Elternhaus zu verkaufen. Die Idee, es als Ferienwohnung zu vermieten, erschien ihm zunächst sehr verlockend: Warum sollte man eine Kuh schlachten, die Milch gibt? Aber dann hat er sich kundig gemacht und den Plan wieder verworfen. Manfred Jahn, mit dem er über einen Kredit verhandeln wollte, hat ihm abgeraten und heute ist Sören ihm dankbar dafür. Seit im Seebad immer mehr Ferienwohnanlagen entstanden sind, ist der Bedarf so ziemlich gedeckt. Nur noch in der Hochsaison, für sechs bis acht Wochen, weichen die Gäste auch auf das Hinterland aus. Da kann die Landschaft noch so schön sein, die Urlauber, die auf die Insel kommen, wollen so nahe wie möglich an der Ostsee wohnen.
Sören seufzt und tritt fester in die Pedale. Die LandstraÃe führt hier in einer weiten Kurve ziemlich steil hoch. Das Auto, das hinter ihm plötzlich beschleunigt, hört er nicht, er spürt nur einen Aufprall, dann gar nichts mehr.
Der Wagen bleibt ein paar Meter weiter stehen, eine Gestalt steigt aus, sieht sich kurz um und beugt sich dann über Sörens leblosen Körper. Die leise Stimme klingt dumpf und unheimlich, vorwurfsvoll, aber auch irgendwie befriedigt. »Warum hast du nicht aufgepasst?«
Der Tote kann die Frage nicht mehr beantworten.
Donnerstag, 18. Oktober
Die Tür der Fischerbude geht von innen auf und zwei Polizisten treten heraus. Der eine von ihnen, es ist Fred Müller, nickt ihr kurz zu und will vorbeigehen, aber Berta hält den groÃen kräftigen Mann am Ãrmel seiner Uniformjacke fest.
»Seid ihr wegen Sören hier?«, fragt sie leise. »Wisst ihr schon, wer es war?«
Fred schüttelt bedrückt den Kopf. Er kennt Berta schon sein ganzes Leben lang und kommt gar nicht auf die Idee, ihre Hand abzustreifen und ihr eine Antwort zu verweigern.
»Kriminalhauptkommissar Schneider«, stellt er seinen Begleiter vor. »Er kommt aus Anklam und leitet die Ermittlungen. Und das ist Frau Kelling, Berta Kelling. Sie hatte hier mal eine Gaststätte.«
Der drahtige Mann mit den schütteren dunklen Haaren lächelt freundlich. »Dann kennen Sie ja sicher viele Leute hier. Also, falls Sie irgendetwas hören sollten â¦Â«
Berta nickt grimmig. »Natürlich. Ich werde mich umhören. Sie müssen den doch finden, der den armen Jungen überfahren hat.« Niedergeschlagen betritt sie die Hütte.
Paul Plötz ist tief erschüttert. Die Falten in seinem Gesicht, die Wind und Sonne, ein Leben im Freien, geprägt haben, erscheinen noch tiefer als sonst. Auch wenn es ihm gut geht, schätzt man ihn nicht jünger als seine 60 Jahre, aber heute sieht er noch viel älter aus. Die Knöchel seiner Hand sind weiÃ, so fest umklammert er eine Bierflasche. »Wenn ich die Sau erwische!«
Noch mehr als die hilflose Wut des Fischers berührt Berta das Verhalten seines Gehilfen. Arno sitzt wie immer still in seiner Ecke, ein Netz auf dem SchoÃ, als wolle er es flicken, aber er rührt sich kaum, wischt nur hin und wieder mit dem Handrücken über seine Augen, ohne zu verhindern, dass ihm die Tränen über das Gesicht laufen.
Auch Berta hat feuchte Augen und schluckt einen dicken Kloà im Hals hinunter.
»Die Polizei wird herausfinden, wer das getan hat«, versucht sie mit unsicherer Stimme zu trösten.
»Ja, wie denn!« Plötz brüllt sie fast an. »Nach dem Unwetter gestern gibt es doch überhaupt keine Spuren.« Er schüttelt verzweifelt den Kopf. »Dass es gerade den Sören treffen muss. Er war so ein guter Junge. Freundlich und hilfsbereit und immer gut drauf. Der hat doch niemandem was getan! Wer macht so etwas nur?«
»Na, es wird ja nicht gerade Absicht gewesen sein«, versucht Berta ihn zu besänftigen.
»Ja, aber ihn einfach da liegen zu lassen. Vielleicht hätte ein Arzt noch helfen können.«
Berta schweigt. Plötz ahnt wohl genauso wie sie, dass Sören Mager niemand mehr hätte helfen können, aber sie denkt auch, man hätte es zumindest
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