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Die Toten von Crowcross

Die Toten von Crowcross

Titel: Die Toten von Crowcross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Mc Dowall
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gesagt, es sei zu schwierig, an so etwas heranzukommen. Nigel hatte dafür sowieso nur ein klares Nein übrig gehabt. Solange der Mann für ihn arbeiten wollte, kam das nicht infrage. Nigel stieg aus und überquerte die Straße, als ein zurücksetzender Lieferwagen vor dem mit Stahlrollläden verrammelten Londis Store den Verkehrsstrom vorübergehend zum Stocken brachte.
    Hudsons Schrottplatz an der Ecke gab es schon lange nicht mehr. Davon war nichts übrig als ein vor sich hin rostender Haufen Wellblech und scharfer Stacheldraht. In den frühen Tagen des »Freistaats« Hayle Close hatten die Aktivisten und Besetzer regelmäßig die Stromversorgung des Schrottplatzes angezapft und beachtliche Mengen »befreiter« Elektrizität für revolutionäre und sozial nützliche Zwecke abgezweigt. Nigel konnte nicht sagen, wann die Kommune von Hayle Close ihren Anfang genommen hatte, nur dass sie bereits in voller Blüte stand, als Claire und er den Protest im Cottage organisiert hatten ế Und sie hatte Myrtle Cottage überlebt und sich in den späten Achtzigern den Widerstand gegen die »poll tax«, die Kopfsteuer, auf die Fahnen geschrieben. Das war ihr letztes radikales Aufleben gewesen, seither ging es stetig bergab.
    Vorsichtig umrundete er die Schlaglöcher und dreckigen Müllhaufen ế Hin und wieder fing seine Nase den Gestank von Fäkalien und Urin auf. Die kleinen Mauern, hinter denen der Gestank hervorwehte, hatten vor langer Zeit einmal liebevoll gepflegte Vorgärten umfasst. In der spätviktorianischen Blütezeit der kleinen Straße hatte es hier etwa vierzig saubere, ordentliche Reihenhäuser gegeben, bewohnt von biederen Familien, die sonntags in die Kirche gingen. Die Besetzer in den Achtzigern hatten das alles noch ziemlich gut in Schuss gehalten, und erst später, als sie von Drogenabhängigen und Saufbrüdern abgelöst wurden, hatten Elend, Dreck und Verfall Einzug gehalten.
    Laute Musik – Rap, Hip-Hop oder was auch immer (Nigel interessierte sich schon seit Jahren nicht mehr für so etwas) – lärmte aus dem oberen Fenster des nächsten Hauses. Einem Fenster ohne Scheibe, und im Erdgeschoss des Hauses waren wie bei allen anderen Türen und Fenster mit Brettern vernagelt. Das Verhältnis zwischen dem Cottage und den Besetzern hier war nie besonders gut oder gar herzlich gewesen. Selbst damals schon waren für den aufmerksamen Beobachter die Anzeichen dessen, was einst den Untergang von Hayle Close bedeuten sollte, mehr als augenfällig gewesen. Zu viele späte Punks und Hippies hatten in den Häusern gewohnt, zufrieden mit ihrer Sozialstütze und ihrem Schimpfen auf »das System«, solange sie keinen Finger dagegen rühren mussten, solange sie mit ihren Drogen in Ruhe gelassen und nicht dabei gestört wurden, sich im Namen der Freiheit gegenseitig mit Geschlechtskrankheiten anzustecken. Als in den Neunzigern billiges Heroin den Markt überschwemmte (mit stiller Duldung des Staates, wie Nigel immer noch annahm) und die »bewusstseinserweiternden« Psychedelika verdrängte, waren die Besetzer hier dumpf in die Abhängigkeit getaumelt.
    Am Rande hatte auch Myrtle Cottage einige problematische unpolitische Elemente angezogen. Der Unterschied zu Hayle Close bestand jedoch darin, dass die Protestbewegung diszipliniert und organisiert war. Trittbrettfahrer kamen und verschwanden wieder, bevor sie Einfluss hätten gewinnen können. Das ist uns zu heftig , Mann , hatten sie in der Regel schon nach einem Tag oder spätestens einer Woche gesagt und sich etwas anderes gesucht, wo sie ihren »Spaß« leichter bekamen.
    Nigel ging bis ans Ende von Hayle Close und blieb vor den Überbleibseln des Hauses Nummer zweiunddreißig stehen. Hier hatten die Besetzer damals ihre offiziellen Treffen abgehalten. Mehr als einmal war er mit Claire hergefahren, wenn eine große Aktion bevorstand und es darum ging, die Unterstützertruppen zu koordinieren. Jenseits des Grundstücks kam nur noch Ödland, vertrocknetes Gras voller Hundehaufen und Spritzen, das sich bis zum inneren Ring hinzog. Schon in den späten Achtzigern hatte Hayle Close auf dem Abrissplan gestanden, aber irgendwie hatte es überlebt, als Fluchtpunkt für die Verzweifelten, die am Ende waren, angenehm weit weg von den Wegen des ehrbaren Bürgertums, das damit nicht konfrontiert werden wollte. Nigel lauschte dem fernen, stockenden, hupenden Verkehr, drehte sich endlich um und lief zurück in Richtung Mill Street, wo das klimatisierte Innere seines Lexus auf ihn

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