Die Toten von Crowcross
verwirrt gewirkt hatte oder ob er dieses Detail seiner Erinnerung erst später hinzugefügt hatte, vermochte Jacobson nicht zu sagen. Damals war nicht gleich alles, was einer trug, zur spurentechnischen Untersuchung in Plastikbeutel gesteckt worden, allerdings hatte jemand die Geistesgegenwart besessen, Grove seine Jeansjacke abzunehmen. Zuvor, auf dem Weg von Crowcross nach Wynarth, hatte Jacobson zwei uniformierte Constables gesehen, die die Telefonzelle auf dem Dorfplatz bewachten, während die Spurensicherung drinnen Proben nahm.
Hunter hatte ihn gleich nach ihrer Rückkehr ziehen lassen. Verschwinde , Junge. Und gib ihr einen von mir , sagte er, oder etwas Ähnliches, herablassend und leicht anzüglich. Und von mir und den anderen auch , fügte Irvine grinsend hinzu. In jener Zeit hatte Jacobson mehr als einmal darüber nachgedacht, ob er den Job auf geben und etwas anderes tun sollte, um seine Brötchen zu verdienen. Aber jedes Mal, wenn er kurz davor war, hatte er an all die Hunters und Irvines im Land gedacht, miese kleine Tyrannen auf ihren Lehnsgütern, und sich geschworen, dass er nicht weichen, sondern einen Weg finden würde, es anders zu machen.
Er blätterte Hunters Bericht durch bis zu den Anhängen. Im Appendix C fand sich ein Foto der ausgeblichenen blauen Jeansjacke. Es war eine gute Aufnahme. Jacobson starrte sie an. Er studierte die Abzeichen auf den Brusttaschen, zwei auf jeder Seite. Von der Bewegung für nukleare Abrüstung, der Anti-Nazi-Liga und der Initiative »Truppen raus aus Irland«. Das vierte erschien Jacobson als das wahrscheinlich Wirksamste. Protestieren und überleben! , stand darauf, eine Anspielung auf die Broschüre zur zivilen Verteidigung, die die Regierung damals an jeden Haushalt im Land geschickt hatte und die den schönen Titel trug: Schützen und überleben. Jacobson musste lächeln. Soweit er sich an den Inhalt des Heftchens erinnerte, wäre Bück dich und lass dich ẻ .. der ehrlichere Titel gewesen.
Martin Groves Jacke war berühmt geworden, später, als der Staatsanwalt sie mit großer Geste vor Gericht präsentierte. Jacobson war nicht dabei gewesen und hatte nicht gehört, was genau gesagt worden war. Aber er konnte es sich nur zu gut vorstellen. Blutgetränkt, wie Sie sehen, meine verehrten Damen und Herren Geschworenen, trotz des schweren Regens an dem Abend. Darauf musste er hingewiesen haben, oder? Das Blut gehört zur Gruppe AB, hohes Gericht Claire Oldham hatte diese seltene Blutgruppe. Das auch: dass die Blutgruppe stimmte, das hatte er sicher auch gesagt.
Nigel mochte Zürich wegen seiner Unverfrorenheit, seiner vollendeten Schamlosigkeit. Es war eindeutig der Nabel des Ungeheuers, das Zentrum des internationalen
Bankensystems, der offizielle Hort des akkumulierten Kapitals. Vor langer Zeit hatte Marx Wohlstand als den aus jedem Akt schweißtreibender, gefährlicher Arbeit gezogenen Mehrwert definiert, und Zürich war der Ort, an dem all dieser wilde, rücksichtslos angehäufte Profit geordnet und gezähmt wurde, um fortan sicher in Banktresoren zu ruhen, wo er bedächtig wachsen und gedeihen konnte. Ihr Flug war kurz und angenehm gewesen, die Maschine planmäßig gelandet, und er hatte ohne Problem im »Baur Au Lac« eingecheckt. Erst hatte er noch überlegt, ob er zur Konkurrenz, ins »Hotel Widder« in der Altstadt, gehen sollte, doch dann hatte er sich dagegen entschieden, weil er den weiteren Ausblick bevorzugte. Leider hatte es im »Baur« so kurzfristig keine große Suite gegeben, wenigstens nicht für Nigel, der sein Sekretariat hatte anfragen lassen. Geld und Macht sind relativ. Für sich und seine Zwecke hatte Nigel von beidem ausreichend angesammelt, im streng hierarchisch geordneten Universum der Züricher Geschäftselite jedoch war er allenfalls ein Mittelklassespieler. Er gehörte nicht zu den Großen, für die alles andere zurückgestellt wurde. Trotzdem war das Zimmer ausgezeichnet, geräumig, opulent ế .. und auf den Blick vom Balkon kam es an, den hatte er gewollt, hinaus auf das bewegte Wasser des Zürichsees.
Er aß im »Le Pavillon«, dem Hotelrestaurant; ganz bewusst ein einfaches Mahl. Ein Steak Dauphin, das er mit einem Glas Bier herunterspülte. Danach ging er die Bahnhofstraße hinunter, an teuren Läden und den Touristen vorbei, die die Auslagen bestaunten. Seine Sekretärin hatte ein paar Termine für ihn arrangiert, aber damit ging es erst am nächsten Tag los. Nach seinem Verdauungsspaziergang wollte er über das
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