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Die Toten von Crowcross

Die Toten von Crowcross

Titel: Die Toten von Crowcross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Mc Dowall
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studiert, das sie die Greats in Oxford nannte: Philosophie, Politik, Wirtschaft, »die ultimative Einführung in den Irrsinn der bourgeoisen Ideologie, Martin«. Ich verstand damals nicht die Hälfte von dem, was sie sagte, aber ich saugte es in mich auf und holte es Jahre später, während meiner »Freizeit« im Gefängnis, wieder hervor. Als ich selbst studierte und Texte von Platon, Hegel und anderen las, fielen mir immer wieder Dinge ein, die Claire gesagt hatte, und nach und nach begriff ich, worauf sie hinausgewollt hatte. Wann immer das geschah, hatte ich das unheimliche Gefühl, sie wieder bei mir zu haben und auf merkwürdige Weise erneut mit ihr verbunden zu sein, obwohl sie doch tot war, ganz und gar, und in dieser Welt nicht mehr existierte.
    Es war eine seltsame, unruhige Zeit im Cottage. Die Crowcross Three saßen in U-Haft, die Unterstützergruppe dünnte immer mehr aus, und unter denen, die blieben, gab es zunehmend Brüche, Streit und Animositäten. Die Sache mit Claire und mir half uns auch nicht unbedingt weiter. Ich schlief nicht jede Nacht bei ihr, und wir machten auch beide kein großes Aufhebens davon, aber wir verheimlichten auch nichts und schämten uns nicht, und so bekamen es früher oder später alle mit. Einige waren gar nicht einverstanden damit. Sexuelle Freiheit, die Ablehnung bürgerlicher Moral, war fester Bestandteil des Programms im Myrtle Cottage, und trotzdem gerieten einige regelrecht in Wut und zerrissen sich die Mäuler über »Claire und Martin«. Andy stellte praktisch jegliche Kommunikation mit mir ein, bis auf die seltenen Fälle in denen es etwas wirklich Wichtiges zu bereden gab oder ich bei etwas mit anfassen musste. Hilary dagegen war eine der wenigen, die für uns eintraten und erklärten, das gehe niemanden etwas an und die Leute sollten sich gefälligst da raushalten. Natürlich ging es um Nigel. Er war für unsere Sache ins Gefängnis gegangen, und manche sahen es so, dass Claire ihn während dieser Zeit betrog. Andere machten Witze über den Altersunterschied zwischen uns (Claire starb ein paar Tage vor ihrem vierundzwanzigsten Geburtstag). Einmal bekam ich mit, wie Hilary Oliver anraunzte, er solle nicht so verdammt sexistisch sein. Seine eigene Freundin sei schließlich auch ein paar Jahre jünger als er, warum das dann andersherum ein Problem sei?
    Claire rang mit sich, ob sie es Nigel sagen sollte, das weiß ich. Die beiden waren immer ehrlich miteinander gewesen, aber es ihm zu sagen, während er eingesperrt war, schien nicht einfach. Nigel mochte ein harter Bursche sein, unverwundbar war er nicht. Schon gar nicht vor dem Hintergrund, dass es ihm mit Claire weitaus ernster zu sein schien als ihr mit ihm. Am Ende bekam sie nicht die Chance, es ihm persönlich zu sagen. Jemand anders (wer, habe ich nie herausbekommen) hat es ihm gesteckt. Claire rief ihn natürlich weiterhin fast jeden Abend an und besuchte ihn. Aber sie vermittelte den Eindruck (mir jedenfalls), dass ihr Kontakt nur noch rein politischer Natur war. Dass es dabei allein um unseren Protest ging.
    Auf dem Flugplatz passierte in jenen Wintermonaten nichts. Die Sicherheitsleute mit ihren Hunden und die Container waren noch da, und die Patrouillen entlang des Zauns behielten sie ebenfalls bei. Zudem hatten wir den Eindruck, dass es nach der Aktion im November noch mehr geworden waren. Sonst schien es allerdings keine neuen Entwicklungen zu geben. Die Gerüchteküche im Cottage füllte das Vakuum aus. Das Hauptgerücht lautete, das Verteidigungsministerium warte nur auf den rechten Zeitpunkt im Frühling: Sobald das Wetter besser werde und es wieder länger hell sei, würden die Bauunternehmen kommen und die Arbeiten an der »Todesbasis« aufnehmen.
    Was mich betraf, so war das alles für mich nur Kulisse.
    Weder Nigel noch die anderen im Knast waren mir wichtig, weder der Flugplatz noch die allgemeine Politik (ein Bergarbeiterstreik drohte, genau wie Andy und Hilary es in der »Market Tavern« vorausgesagt hatten). Selbst die Gefahr, dass sich die gesamte Menschheit ins Paradies sprengen könnte, war mir egal, wenn ich ehrlich bin. Meine neue Liebe hatte mich selbstsüchtig gemacht, lieber Leser, wie auch Sie es sicher schon erlebt haben – und wenn nicht, bedaure ich Sie aus tiefstem Herzen.
    Claire und ich gingen gern im Crowcross Wood spazieren, um an der Luft zu sein und der hermetischen, immer klaustrophobischer werdenden Welt im Cottage zu entfliehen. Dabei stellten wir einiges an, nahmen

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