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Die Toten von Crowcross

Die Toten von Crowcross

Titel: Die Toten von Crowcross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Mc Dowall
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Abkürzungen über Privatgelände und Felder und ließen hier und da auch schon mal bewusst ein Gatter offen. Warum auch nicht? Die waren alle gegen uns, und wir waren sicher, dass einige von ihnen mit den zerschlagenen Windschutzscheiben und zerstochenen Reifen zu tun hatten. Manchmal entfernten wir uns auch weiter. Wir interessierten uns mehr und mehr für die Two-Tone-Welle und begannen regelmäßig nach Coventry zu fahren und in große Konzerte zu gehen. Eines Abends kamen wir in einem Pub mit einem Musiker von The Selecter ins Gespräch, und Claire verkaufte ihm die Idee eines Benefizauftritts für die Crowcross Three, doch am Ende wurde daraus ebenso wenig wie aus vielen anderen Plänen, die sie mit ins Grab nahm.
    Ein paarmal war ich auch mit ihr in London. Ich hatte keinen Führerschein und nur wenig Übung, aber auf dem Stück Mi ließ sie mich sogar fahren. Ich trat das Gaspedal durch (wegen Radarkontrollen musste man sich damals noch keine Sorgen machen, mein Freund), und wir drehten die Musik voll auf. Claire musste nach London, um an den geschlossenen Treffen des Zentralkomitees der RCV teilzunehmen, der Revolutionären Kommunistischen Vorhut. Das war eine winzige, verschwiegene ultralinke Organisation, der Nigel und sie angehörten. Die RCV betrachtete sich als echte trotzkistische Kaderorganisation, der man nicht einfach so beitreten konnte, indem man den Coupon von der letzten Seite der Parteizeitung ausfüllte wie zum Beispiel bei der Sozialistischen Arbeiterpartei. Die RCVerwählte ihre Mitglieder selbst aus dem Kreis derer, die einen hohen Aktivitätsgrad und fortgeschrittenes politisches Verständnis nachweisen konnten . Das ist es, was die verdammte Avantgarde auszeichnet, Kumpel, hatte Andy mir mehr als einmal bei ein, zwei Flaschen Reiswein erklärt. Das sind Leute, die wissen, was sie tun, Leute, die führen können, und nicht irgendwelche Anfänger, die gerade mal dahintergekommen sind, dass der Kapitalismus verdammt noch mal stinkt. Andy war kein RCV-Mitglied, aber es war klar, dass er in die Richtung dachte. Seinen Eid auf Königin und Vaterland habe er hingeschmissen, erklärte Claire mir einmal, aber in seinem Innersten sei er immer noch Soldat und auf der Suche nach einer Sache, für die er kämpfen und der er treu sein könne. Ich habe nie herausgefunden, wie einflussreich die RCV tatsächlich war. Wahrscheinlich waren sie so etwas wie eine Fraktion innerhalb einer Fraktion innerhalb einer Fraktion, aber das heißt nicht, dass sie gar keinen Einfluss gehabt hätten. Die Art, wie Nigel und Claire Myrtle Cottage aufgezogen hatten, war ein klassisches Beispiel für die Taktik der RCV: Schaff eine breite Allianz zur Beförderung eines populären Anliegens, und nutze die Situation, um den Menschen die Notwendigkeit einer umfassenden Revolution nahezubringen . Aus Sicht der RCV war die nukleare Abrüstung ein klassisches »Übergangsbedürfnis«, das für eine signifikante Bevölkerungsgruppe ein Anliegen von allgemeinem Interesse darstellte, unter den Parametern des existierenden repressiven, profitorientierten Systems jedoch unmöglich umzusetzen war.
    Ich war zu Claires RCV-Treffen natürlich nicht zugelassen und wusste normalerweise noch nicht einmal, wo genau sie abgehalten wurden. Ich hatte den Eindruck, dass sie den Ort häufig wechselten, oft erst im letzten Augenblick – heute würde ich sagen, aus der gewohnten Paranoia der Linken heraus, ausspioniert und unterwandert zu werden. Einmal mieteten sie einen Raum in einem Studentenheim an, dann wieder das Hinterzimmer eines obskuren Pubs. Es störte mich nicht, dass ich außen vor blieb. Ich schlenderte dann durchs West End, ging ins Kino, schnorrte mich in Soho oder Covent Garden durch, trank ein paar Bier und hielt Ausschau nach den berühmten Yuppies, die damals in London so eine große Sache sein sollten. Meist blieben wir einen Tag länger, als es wegen der RCV nötig gewesen wäre. Claire buchte uns gern ein Zimmer in einem, wie sie es nannte, »anständigen« Hotel. Für mich in meiner Naivität waren diese Hotels Paläste. Am deutlichsten erinnere ich mich an das »Hyde Park Hilton«. Claire liebte den Blick auf den Park und erzählte mir gern von den vielen Demonstrationen, Unruhen und Ausschreitungen, die über die Jahrhunderte hinweg dort stattgefunden hätten. Selbst die Geländer seien mehr als einmal herausgerissen worden, um zu provisorischen Lanzen umfunktioniert zu werden. Worauf ich einmal sagte, für eine

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