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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Unterhaus, wenn Mrs Thatcher versucht, dort eine Rede zu halten. Ich glaube, Sie alle wissen, was ich meine.« Es war ein guter Abschluß. Die Leute klatschten und lachten – mit einer Ausnahme. Morse, die Hände im Schoß, runzelte irritiert die Stirn; ihm war während der letzten Minute der Verdacht gekommen, daß Richards sein Publikum an der Nase herumführte.
    Unten an der Bar wurde Morse vom Vorsitzenden begrüßt:
    »Ich freue mich, daß Sie gekommen sind. Darf ich Sie mit unserem Redner bekanntmachen? Mr Richards. Chief Inspector Morse.« Die beiden Männer schüttelten sich die Hände.
    »Ihr Vortrag und die Art, wie Sie hinterher mit den Fragen umgegangen sind, haben mir gefallen …«
    Richards neigte leicht den Kopf. »Danke.«
    »… mit Ausnahme der letzten Antwort.«
    »Ach – und wieso?«
    »Sie haben behauptet, ein schlechter Lehrer gewesen zu sein – und das nehme ich Ihnen nicht ab.«
    Richards zuckte die Achseln. »Nun, ich hätte es auch anders und vielleicht weniger drastisch sagen können: mir wurde ziemlich schnell klar, daß ich nicht die für einen Lehrer notwendigen Qualitäten besaß.«
    Morse sah ihn zweifelnd an. Er war eben selbst Zeuge gewesen, wie Richards es ohne große Mühe geschafft hatte, sein zu Anfang eher abwartendes Publikum innerhalb weniger Minuten in seinen Bann zu ziehen, so daß es ihm mit ständig wachsendem Interesse zugehört hatte – anderthalb Stunden lang. Und da wollte er mit so viel empfänglicheren und begeisterungsfähigeren Zuhörern, wie es Schuljungen waren, Schwierigkeiten gehabt haben? So wie er Richards einschätzte, hatte er sie um den Finger wickeln können.
    »Ich muß gestehen, ich bin nicht so recht überzeugt. Ich glaube immer noch, daß Sie ein ausgezeichneter Lehrer waren, und wenn ich Direktor einer Schule wäre – Sie würde ich sofort anstellen.«
    »Na ja«, gab Richards zu, »Sie haben schon recht – vielleicht habe ich ein bißchen übertrieben. Sie kennen doch die Redensart, ›dem Affen Zucker geben‹. Man will ja auch ankommen.«
    Morse nickte. So konnte man es natürlich auch ausdrücken. Er selbst beurteilte es allerdings weniger großzügig. In seinen Augen hatte Richards das Publikum schlicht angelogen. »Sie sind noch nicht sehr lange hier – ich meine, in der Gegend von Oxford?«
    »Ungefähr drei Monate. Sie können aber nicht gut zugehört haben, Inspector, sonst …«
    In diesem Moment trat der Vorsitzende auf sie zu. Er bitte um Entschuldigung, daß er stören müsse, aber es gebe einige Mitglieder, denen sehr daran gelegen sei, Richards’ Bekanntschaft zu machen. Der Verleger verabschiedete sich von Morse mit einem Kopfnicken und ließ sich vom Vorsitzenden beiseite führen.
    »Kennen Sie übrigens …« hörte Morse den Vorsitzenden fragen. Richards verneinte, aber das sei kein Wunder, er komme kaum je nach Oxford. Das letzte Mal …
    Morse stand mit seinem Bier plötzlich allein inmitten lauter fremder Leute und spürte, wie ein Gefühl von Langeweile in ihm hochstieg. Dabei hatte er soeben ein paar wichtige Informationen erhalten – doch das konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ahnen.
    Als Richards sich gegen zehn Uhr verabschiedete, war das für Morse das Zeichen, sich der Gruppe um den Vorsitzenden zuzugesellen, um doch noch mit ihm ins Gespräch zu kommen und möglicherweise von ihm etwas über Anne Scott zu erfahren. Er ging geradewegs auf sein Ziel los und fand in seinem Gegenüber einen bereitwilligen Gesprächspartner.
    »Ach Gott, ja, die arme Anne! Viel kann ich Ihnen leider nicht erzählen, sie war ja noch nicht sehr lange Mitglied, und im Geschäftsführenden Ausschuß hat sie erst seit Anfang des Jahres mitgearbeitet. Das Beeindruckendste für mich war immer, daß sie ständig neue Ideen zu haben schien. Der heutige Abend geht übrigens auch auf ihre Anregung zurück. Unser größtes Problem besteht im Grunde darin, ein ungefähres Gleichgewicht herzustellen zwischen dem, was auf den, nun sagen wir einmal, literarischen Aspekt von Büchern eingeht, als da wären Autorenlesungen, Vorträge von Literaturwissenschaftlern und ähnlichem und dem mehr technischen Aspekt, Herstellung, Vertrieb etc. Wir im Vorstand haben, wie ich leider gestehen muß, im Grunde ein stärkeres Interesse an ersterem, aber es gibt eben eine Menge Mitglieder, für die die praktische Seite ebenso wichtig oder noch wichtiger ist. Jemand wie Charles Richards ist da für uns natürlich ein ungeheurer Glücksfall, da er von beidem

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