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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Blättern in der Zeitschrift Lilliput, die immer beim Friseur auslag, das keusche Foto einer nackten Frau entdeckte, die mit geschlossenen Beinen seitwärts auf dem Schemel vor ihrem Toilettentisch saß.
    Die Zeiten hatten sich seitdem entschieden geändert.
     

Kapitel Siebzehn
     
    Geh nur voran! ich folge dir
    Shakespeare, Hamlet, 1. Aufzug, 4. Szene
     
    Bereits eine halbe Stunde vor der von Richards genannten Zeit hockte George Jackson zusammengekauert hinter einer Hecke an der Woodstock Road; sein Fahrrad hatte er ein paar Meter weiter unter einem Busch versteckt. Er war gestern gleich nach dem Telefongespräch losgezogen, um die Gegend zu erkunden, und hatte ziemlich schnell gefunden, was er suchte. Das Grundstück, auf dem er sich jetzt befand, lag, wenn man von Norden kam, auf der rechten Seite. Die große, Anfang des Jahrhunderts erbaute Villa stand ungefähr fünfzig Meter weit zurückgesetzt, fast völlig verdeckt von Büschen und Bäumen, die auch verhindern würden, daß man ihn vom Haus aus sah. Zur Zeit bestand in diesem Punkt allerdings sowieso keine Gefahr. Die nach vorn hinausgehenden Zimmer waren alle dunkel. Was aber für Jackson den Ausschlag gegeben hatte, war, daß sein Platz hinter dem oberen Ende der Hecke fast genau in der Mitte zwischen den beiden strategischen Punkten lag: der Field House Drive befand sich schräg gegenüber, ungefähr zwanzig Meter weiter rechts; die Telefonzelle, hinter der das Geld deponiert werden sollte, in etwa derselben Entfernung links die Straße hinauf. Um diese Zeit waren kaum noch Passanten unterwegs. Und wenn, so hatten sie es eilig, nach Hause zu kommen, und sahen sich nicht groß um. Das Liebespaar, das kurz vor halb neun eng aneinandergeschmiegt die Straße hinunterschlenderte, war viel zu sehr mit sich selber beschäftigt, als daß es einen Blick für seine Umgebung gehabt hätte. Auf der Straße herrschte nur wenig Verkehr – ab und zu ein Auto, gelegentlich ein Radfahrer, das war alles.
    Pünktlich um halb neun tauchte aus Richtung Norden der hellblaue Rolls-Royce auf. Der Fahrer fuhr kaum mehr als zwanzig Stundenkilometer, und Jackson fühlte, wie sein Herz zu klopfen begann, als der linke Blinker aufleuchtete und der Wagen in den Field House Drive abbog. Der Fahrer hielt gleich hinter der Ecke an, stieg aus, drückte die Tür zu und schloß ab. Die Schlüssel in der Hand, ging er nach hinten zum Kofferraum, öffnete ihn, warf einen kurzen Blick hinein und klappte den Deckel dann wieder zu. Einen Moment lang verlor Jackson ihn aus dem Blick, als er um den Wagen herum zur Beifahrerseite ging. Offenbar hatte er eine der beiden Türen dort geöffnet, denn Jackson hörte das satte »Plopp!«, als er sie wieder zuschlug. Gleich darauf sah er ihn die Woodstock Road hinaufkommen. In der rechten Hand hielt er eine braune Tragetasche. Er schien völlig ruhig zu sein und weder neugierig noch besorgt, denn er sah sich nicht ein einziges Mal um.
    Als er Jacksons Höhe erreicht hatte, konnte dieser ihn im Licht der Straßenlaterne deutlich erkennen: ein untersetzter, mittelgroßer Mann, ungefähr vierzig bis fünfundvierzig Jahre alt mit noch vollem, dunklem Haar, das jedoch an den Schläfen schon deutlich grau zu werden begann. Er trug einen blauen Nadelstreifenanzug und sah genau so aus, wie Jackson ihn sich vorgestellt hatte: wohlhabend und eine Spur arrogant – eben wie jemand, der im Leben Erfolg gehabt hatte. Jackson beobachtete ihn, wie er die Straße hinaufschritt, die Telefonzelle betrat, den Hörer abnahm, ihn wieder einhängte, die Zelle verließ und erneut hineinging, als eine ältere Frau, die wohl ihren Terrier Gassi führte, ihm entgegenkam. Plötzlich spürte Jackson, wie ihn eine Welle von Panik ergriff. Richards hatte wieder den Hörer in der Hand und schien mit jemandem zu sprechen. Hatte er ihn gelinkt und rief jetzt die Polizei herbei? Gleich darauf atmete er erleichtert auf. Offenbar hatte Richards das Telefongespräch nur vorgetäuscht, um die Frau nicht mißtrauisch zu machen, denn kaum war sie an der Zelle vorbei, hängte er ein, kam heraus und ging auf das Mäuerchen hinter der Telefonzelle zu. Dort bückte er sich. Als er wieder hochkam und sich umdrehte, waren seine Hände leer. Er ging zu seinem Wagen zurück und stieg ein. Die Limousine umschrieb einen eleganten Halbkreis; Jackson sah den Kühlergrill silbern aufblitzen, als sie an ihm vorbei nach Norden brauste. Auf der Straße herrschte eine Stille wie auf einem nächtlichen

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