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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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wissen?« blaffte Morse. »Ich hab sie doch gar nicht getroffen. Sie ist verreist – nach Spanien.«
    »Nach Spanien?« Lewis pfiff leise durch die Zähne. »Sieh mal einer an. Da zieht’s ja heute wohl mächtig viele hin.« Er berichtete Morse von seinem Besuch bei Conrad Richards und erwähnte, welch positiven Eindruck er von ihm gewonnen hätte. Morse hörte ihm, ohne ihn zu unterbrechen, bis zum Ende zu. Für Lewis wieder einmal ein Grund, sich zu wundern: Im Pub beim Bier kriegte man bei Morse kein Wort dazwischen, aber sobald er in einem Auto saß, wurde er schweigsam wie ein Trappist. War schon ein merkwürdiger Mensch, der Chef!
    »Was schlagen Sie also vor, Lewis?«
    »Ich finde, wir sollten die Fingerabdrücke so schnell wie möglich ins Labor bringen, damit sie dort einen Vergleich anstellen – vielleicht ist der Fall Jackson dann ja schon gelöst. Ich glaube nämlich, daß Charles Richards seinen Bruder im Wagen mitgenommen hat, als er an dem Abend nach Oxford zum Clarendon Institute fuhr, und daß er ihn irgendwo in Jericho rausgelassen hat. Na, und dann ist Conrad losmarschiert, um ihm einzuheizen, und ist ein bißchen gewalttätig geworden …«
    »Sie meinen also, Charles Richards habe seinen Bruder ins Vertrauen gezogen und ihm gesagt, daß er erpreßt wurde?«
    Lewis nickte. »Charles Richards ist Jackson, wie Sie vorhin sagten, gefolgt, als der sich das Geld geholt hat, und dann, als er wußte, wo er wohnte, ist er zu Conrad gegangen, hat ihm alles erzählt und ihn um seine Hilfe gebeten. Eigentlich sehr geschickt von ihm! Er selbst besorgt sich für die Tatzeit ein wasserdichtes Alibi, und auf Conrad fällt ja sowieso kein Verdacht.«
    »Hm.« Morse blickte skeptisch. Es war nicht auszuschließen, daß Conrad, wie Lewis gemeint hatte, sich sozusagen an Charles’ Statt Jackson vorgeknöpft hatte. Aber er hatte noch gut Jacksons blutiges, entstelltes Gesicht in Erinnerung. Da hatte jemand ohne Rücksicht auf die Folgen unbarmherzig zugeschlagen, auch wenn die schwere Schädelverletzung, die zu seinem Tode geführt hatte, ihm vielleicht unabsichtlich zugefügt worden war. Nach dem, was Celia Richards ihm von ihrem Schwager erzählt hatte, aber auch nach Lewis’ eigener Schilderung hatte Morse von ihm jedoch eher den Eindruck eines rücksichtsvollen, alles in allem eher sanften Mannes gewonnen. Nun hatte er zwar im Laufe seiner Tätigkeit bei der Polizei schon manche Überraschung erlebt und glaubte inzwischen, daß jeder grundsätzlich zu allem fähig sei – die entsprechenden Gefühle wie Wut, Haß, Verzweiflung vorausgesetzt. Doch gerade das machte ihm Conrad als Täter so unwahrscheinlich. Die Tötung Jacksons – ob vorsätzlich oder nicht – war Folge eines Ausbruchs ungezügelter Wut. Würde die Tatsache, daß Jackson seinen Bruder erpreßte, Conrad wirklich in eine derartige Raserei versetzt haben können? – Verdammt! Er hätte selbst nach Abingdon fahren und Conrad aufsuchen sollen, statt in Radley hinter Mrs Hills …
    »Wenden Sie, Lewis, wir fahren zurück!«
    »Wie?«
    »Wir fahren nach Abingdon. Ich will selbst mit Conrad Richards sprechen. Treten Sie mal ein bißchen aufs Gas.«
     
    Aber sie trafen ihn nicht mehr an. Seine Sekretärin teilte ihnen mit, er habe sich vor etwa zehn Minuten ein Taxi gerufen. Ihr gegenüber hatte er nur gesagt, daß es sich um eine Geschäftsreise handele, aber weder, wohin er fuhr, noch wann er zurückkommen wollte.
    Morse verfluchte die Anwandlung von Schwäche, die ihn nach Radley gelockt hatte, und ließ seinen Ärger über sich selbst an der nun wahrlich unschuldigen Sekretärin aus. Nachdem er sie mit einigen eindrucksvollen Sätzen gründlich eingeschüchtert hatte, verlangte er barschen Tones alle verfügbaren Schlüssel. Der Inhalt von Conrads Schreibtisch (dessen Schubladen alle offen waren) erwies sich als harmlos: Verträge, Rechnungen, Unterlagen für die Bilanz – nichts, was für sie von Interesse hätte sein können. Hier hatte Conrad jedenfalls nichts versteckt – vielleicht aus dem einfachen Grund, daß es nichts zu verstecken gab. Morse setzte sich in den Schreibtischsessel und blickte um sich. In einem Rollschrank reihte sich eine Unzahl von Aktenordnern, aber er hielt es für sinnlos, sie auch noch durchzusehen – er glaubte nicht, daß sie dort etwas finden würden. Die Wände des Büros waren kahl und schmucklos bis auf zwei Bilder: das eine war eine farbige Reproduktion eines wie hingehaucht wirkenden Wandgemäldes aus

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