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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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mit nur mühsam beherrschter Ungeduld einem besonders begriffsstutzigen Schüler einen wichtigen Lehrsatz zu erklären versucht. »Denn oft erlangt ja gerade anfangs unwichtig Scheinendes, wie Sie eigentlich inzwischen wissen sollten, Sergeant, im Laufe der Ermittlungen plötzlich ungeahnte Bedeutung.«
    Lewis schluckte ein paarmal nervös und nickte kleinlaut. Heute war was fällig, das war klar. Er hätte nur gern gewußt, warum.
    »Walters hat also, um das noch einmal ganz deutlich zu sagen, seine Sorgfaltspflicht verletzt, als er die Adresse wegließ, und ich wundere mich, ehrlich gesagt, Sergeant, welche Nachsicht Sie gegenüber seiner Fehlhaltung an den Tag legten. Aber vielleicht finden Sie Schludrigkeit ja auch nicht weiter tragisch, vielleicht …«
    »Was werfen Sie mir vor, Sir?« fragte Lewis leise.
    »Was ich Ihnen vorwerfe? Das will ich Ihnen gerne sagen. Schlamperei, Lewis! Bodenlose Schlamperei. Ihre Berichte strotzen nur so von Fehlern …«
    »Rechtschreibung ist nun mal nicht meine starke Seite, Sir, das wissen Sie …«
    »Ihre Rechtschreibung meine ich auch gar nicht, Sergeant. Ich meine Ihren Umgang mit Fakten! In Ihren letzten Berichten standen Dinge, die waren einfach falsch – schlicht und einfach falsch. Ich habe den Eindruck, daß Sie Ihre Pflichten nicht mehr richtig ernst nehmen. Offenbar denken Sie, Sie könnten die Berichte so mal eben nebenbei schreiben, weil es nicht genau drauf ankommt. Aber da haben Sie sich geirrt!«
    Lewis blickte zu Boden und schwieg. Zum Teil hatte Morse mit seinen Vorwürfen ja recht – aber nur zum Teil. Er hatte in der letzten Zeit manchmal wirklich etwas flüchtig gearbeitet und nicht, wie es sonst seine Art war, sämtliche Fakten, bevor er sie in einem Bericht festhielt, noch einmal überprüft. Aber das lag doch nicht daran, daß er seine Pflichten nicht mehr richtig ernst nahm oder gemeint hätte, es komme nicht so drauf an. Der Grund war, daß er abends, wenn er die Schreibarbeiten erledigte, oft einfach müde und kaputt gewesen war. Wenn Morse gegen fünf, sechs Uhr beschloß zu gehen, sich mit dem Mantel über dem Arm in der Tür noch einmal umdrehte und sagte: »Morgen früh hätte ich dann gern Ihren Bericht, Lewis«, dann machte er sich wahrscheinlich überhaupt nicht klar, daß das bedeutete, daß Lewis noch bis lange in die Nacht dasitzen und sich den Kopf über passende Wörter und anständigen Satzbau zerbrechen würde. Und anschließend mußte das Ganze ja immer noch getippt werden – mit zwei Fingern auch eine rechte Mühsal. Und während er sich abquälte, saß Morse längst im Pub und ertränkte Ärger und Unzufriedenheit des Tages im Bier. Nein, wenn er es richtig bedachte, so waren Morses Vorwürfe – in dieser allgemeinen Form jedenfalls – nicht fair. Daß er einzelne Fehler begangen hatte, wollte er ja gar nicht bestreiten …
    »Wenn Sie mir sagen würden, Sir, was genau Sie meinen. Ich wüßte doch gerne, was ich nun …«
    »Na, zum Beispiel dies hier!« Morse wies mit einer Handbewegung gereizt auf einen Bogen mit der Aussage Celia Richards’ und wischte ihn mit einem unwirschen »Da!« zu Lewis hinüber. »Was soll ich mit einem Sergeant anfangen, der nicht mal eine Adresse richtig wiedergeben kann? Den es offenbar überfordert, drei Ziffern in der richtigen Reihenfolge zu schreiben. In Ihrem Bericht steht als Hausnummer ›261‹; es muß aber heißen ›216‹. Und hier …«, er kramte in einem Stapel Papiere, »… hier irgendwo ist noch ein Bericht, in dem Sie …« Aber Lewis hörte ihm nicht mehr zu; Morses Vorwürfe prallten wirkungslos an ihm ab. Er wartete auf eine Pause. Irgendwann mußte dem Chef ja mal die Luft ausgehen. Tatsächlich lehnte Morse sich nach einer Weile erschöpft zurück; er schien fürs erste fertig zu sein. Einen kostbaren Augenblick lang herrschte absolute Stille.
    Dann sprach Lewis die Worte: »Die Adresse stimmt.«
    Morse öffnete den Mund – und schloß ihn wieder. Er begann hektisch unter seinen Papieren zu wühlen. Schließlich hatte er gefunden, was er suchte.
    »Aber sie wohnt doch nicht in 261 und in 216«, sagte er einigermaßen ratlos.
    Er reichte Lewis die Fotokopie eines Anschreibens, das dem Scheck, mit dem C. Richards das Strafmandat für den falsch geparkten Rolls-Royce bezahlt hatte, beigefügt gewesen war. Lewis spürte, wie sich ihm vor Aufregung der Magen zusammenzog, als er den kurzen Brief überflog.
     
    Sehr geehrte Damen und Herren,
    hiermit übersende ich Ihnen einen

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